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Bauen mit Lehm – traditionell fortschrittlich und nachhaltig

Stand: Juni 2023
Foto, eine Mischung aus feuchtem Lehm und Stroh wird in einer Hand gehalten.

Lehm erlebt eine Renaissance als nachhaltige Alternative zu konventionellen Baustoffen. Seine materialtypischen Eigenschaften ermöglichen moderne, klimafreundliche Architektur und verschiedenste Gebäudetypen mit mehreren Geschossen.

Lehmbau hat Tradition

Seit Jahrtausenden wird mit Lehm gebaut, etwa im Nahen Osten und Vorderasien: Die Stadt Shibam (Südjemen) sowie die Altstadt von Sanaa (Jemen) faszinieren mit ihren bis zu zehnstöckigen Hochhäusern aus luftgetrockneten Lehmziegeln. Auch der Turm zu Babel und die Chinesische Mauer sind Bau-Ikonen, bei denen Lehm zum Einsatz kam.

Foto, Al Subaie Palast in Shaqra, Saudi Arabien, der traditionell mit Lehmziegeln saniert wurde.
Al Subaie Palast in Shaqra, Saudi Arabien, der traditionell mit Lehmziegeln saniert wurde.

In Europa und insbesondere in Deutschland hat Lehmbau ebenfalls Tradition. Rund zwei Millionen Menschen leben in Fachwerkbauten, deren Holzrahmen mit Lehm verfüllt sind. Doch seit den 1950er Jahren verdrängten Beton, Stahl und andere industriell gefertigte Baustoffe das natürliche und regional verfügbare Material. Durch die Klimawende steigt der Bedarf an nachhaltigen Rohstoffen. Somit ist Lehm wieder in den Fokus von Öffentlichkeit und Bauenden gerückt. Andererseits bestehen Zweifel, inwieweit sich mit Lehm anspruchsvolle moderne Gebäude realisieren lassen. Tatsächlich ist Lehm ein Gewinn fürs nachhaltige Bauen und ermöglicht eine zeitgemäße und markante Architektur.

Merkmale von Lehm

Natürlich und regional verfügbar

Lehm besteht aus unterschiedlichen Anteilen von Ton, Sand und Schluff (Feinsand) – abhängig von der Region. Ein großer Tongehalt erhöht die Bindekraft des Lehms, er wird dann als fett bezeichnet. Lehme mit geringeren Tonanteilen (mager) binden weniger stark. Durch die Aufnahme und Abgabe von Wasserdampf reguliert Lehm die Luftfeuchtigkeit auf natürliche Weise.

Er ist schadstofffrei, wohngesund, umweltschonend, schalldämmend, unbrennbar, 100 Prozent recycelbar und lokal verfügbar. Somit benötigt seine Herstellung wenig Energie im Vergleich zu konventionellen Baustoffen und auch die Transportwege sind kurz.

Lehm für verschiedene Anwendungen

Verarbeitet wird der Baustoff zum Beispiel zu tragfähigen Lehmsteinen (nach DIN 18945) oder -platten für den Trockenbau. Außerdem üblich sind Lehmputze und Lehmschüttungen. Leichtlehm wird in flüssiger Konsistenz in Schalungen einbracht. Nach dem Trocken erreichen die Bauteile eine Rohdichte von 400 bis 1.200 kg/m³. Diese sind zwar wärmedämmend, aber nicht druckfest bzw. tragfähig, weshalb Leichtlehm ein Holztragwerk benötigt. Strohlehm erreicht eine größere Festigkeit mit 1.200 bis 1.700 kg/m³ und wird hauptsächlich im Fachwerkbau eingesetzt. Auch dem sog. „Wellerlehm“ wird Stroh zugeschlagen. Wegen seiner vergleichsweise höheren Rohdichte von 1.500 bis 1.800 kg/m³ eignet er sich als tragende Wandkonstruktion, insbesondere für die Instandsetzung von historischen Gebäuden (Quelle: Lehmbaustoffe, Dachverband Lehm e. V.).

Stampflehm – Favorit monolithischen Bauens

Der schwerste Baustoff unter den Lehmen ist der Stampflehm mit Rohdichten zwischen 1.700 und 2.200 kg/m³. Er wird ähnlich wie beim Betonbau lagenweise verfüllt, was monolithische, tragende Wände ergibt. In alten Zeiten noch mit den Füßen gestampft, kommen heute elektrische oder pneumatische (Druckluft) Verfahren zum Einsatz. Üblich sind auch Stampflehm-Fertigteile, die sich einfach und schnell vor Ort verbauen lassen. Die horizontalen, individuellen Schichten der puren Lehmwände erzeugen eine markante dreidimensionale Wirkung. Auch deshalb erlebt Stampflehm ein Comeback.

Geerdeter Purismus im kleinen und großen Maßstab

Foto, Außenansicht einer Werkhalle, in der Bauelemente aus Stampflehm vorgefertigt werden.
ERDEN Werkhalle, Lehm Ton Erde Baukunst GmbH, Schlins (AT)

Bauprojekte neueren Datums zeigen, dass nachhaltige und attraktive Architektur in ihrer ganzen Bandbreite mit Lehm gelingen kann. Das gilt sowohl für Innenbereiche als auch für die Gebäude an sich. Beim Innenausbau sind Stampflehmwände, Lehmputze und -platten als raumbildende wie gestaltende Elemente beliebt.

Foto, ein Mann arbeitet in einer Werkhalle zur Vorfertigung von Bauelementen aus Stampflehm.
ERDEN Werkhalle, Lehm Ton Erde Baukunst GmbH, Schlins (AT)
Foto, mehere vorgefertigte Bauelemente aus Stampflehm stehen in zur Trocknung in einer Werkhalle.
ERDEN Werkhalle, Lehm Ton Erde Baukunst GmbH, Schlins (AT)

Alnatura Arbeitswelt

Der Alnatura Campus in Darmstadt ist mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur 2020 ausgezeichnet worden. Der Entwurf in Holz- und Lehmbauweise stammt von haas cook zemmrich. Die gebäudehohe, freitragende Fassade besteht aus Stampflehm-Elementen mit einer innenliegenden Dämmung aus Schaumglas-Schotter Auch im Innenbereich des monolithischen Gebäudes wurde Lehm verwendet, was sich positiv auf das Raumklima und die Akustik auswirkt. Das Material und die geerdete Anmutung der Fassaden stehen im Einklang mit den Werten des bodenständigen Unternehmens. Die Kosten bewegen sich im Rahmen von 1.500 bis 1.900 Euro/m² bezogen auf die Bruttogrundfläche (BGF).

Weitere Details zum Alnatura-Campus können der Projektbeschreibung im Best-Practice-Portal entnommen werden.

Foto, Außenansicht der Werkhalle Alnatura Arbeitswelt.

Alnatura Arbeitswelt

Europas größtes Gebäude aus Lehm hat eine natürliche Belüftung und Belichtung und ist im Betrieb klimaneutral. Einzigartig ist die Stampflehmfassade mit geothermischer Wandheizung.

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Lehmhaus Neckarbogen Heilbronn

Ein weiteres geplantes Projekt desselben Stuttgarter Architekturbüros ist das Lehmhaus Neckarbogen Heilbronn. Hier wird Stampflehm vertikal geschichtet und das gibt der Fassade ihr unverwechselbares Erscheinungsbild. Diese strahlt eine beruhigende Kraft und Stabilität aus. Wobei die geplante Erosion der Oberflächen über die Jahre natürlich altert (Quelle: natureplus.org).

Informationszentrum Ringheiligtum Pömmelte

Mit dem Informationszentrum Ringheiligtum Pömmelte erhält das Land Sachsen-Anhalt den ersten Bau aus Stampflehm seit 60 Jahren. Der moderne Entwurf orientiert sich an dem in der Region verbreiteten historischen Massivlehmbau des 18. und 19. Jahrhunderts. Das betreuende Büro ZRS Architekten Ingenieure Berlin hat ein eigenes Labor, das auf Lehmbaustoffe spezialisiert ist. Alle Materialprüfungen können hier eigenen Angaben zufolge den aktuellen DIN-Normen entsprechend durchgeführt werden.

Lehm-Lösungen beim Solar Decathlon Europe

Beim diesjährigen Solar Decathlon 21/22 in Wuppertal hat Lehm ebenfalls eine tragende Rolle. 18 internationale Hochschulteams stellten Entwürfe rund um Sanierung, Nachverdichtung und Aufstockung urbanen Wohnraums vor. Neben Holz gehörten Lehmbaustoffe zu den klimafreundlichen und innovativen Lösungen für zukunftsfähige Wohnhäuser. Darunter das türkisch-deutsche Team Deeply High. Bei dem Konzept einer umweltfreundlichen Aufstockung eines Sozialbaus in Kiel kamen vorgefertigte Lehmplatten zum Einsatz. Diese beschleunigen die Montage, zudem sorgen sie für ein angenehmes Raumklima. Sechs weitere Teams setzten Lehmbaustoffe ein, darunter der Sieger-Entwurf RoofKIT vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

100 Prozent belastbarer Baustoff

Lehm ist klimaschonend, recycelbar und regional verfügbar – also die offensichtliche Materialwahl für zukunftsfähige Architektur. Andererseits gibt es Vorbehalte bezüglich Druckfestigkeit, Brandschutz sowie schädlicher Zuschläge. So stand beispielsweise dem Einsatz von Lehmsteinen in der Praxis lange Jahre eine strenge Regulierung entgegen: Tragende Lehmmauern waren nach den Lehmbau-Regeln aus den 1990er Jahren lange Jahre nur bei Gebäuden bis maximal zwei Stockwerken gestattet.

Seit Juni 2023 sorgt nun eine neue Norm für Erleichterung: DIN 18940:2023-06 – Tragendes Lehmsteinmauerwerk - Konstruktion, Bemessung und Ausführung erlaubt tragendes Lehmmauerwerk für Gebäude bis zu fünf Stockwerken und bis zur Gebäudeklasse 4. DIN 18940 berücksichtigt die Leistungs- und Tragfähigkeit moderner Lehmsteine und schafft neue Vorgaben für ihren Einsatz. So sind die Anforderungen an die Wandstärke wesentlich verringert: Zuvor mussten tragende Lehmsteine eine Wandstärke von 36,5 Zentimeter aufweisen – mehr als doppelt so viel wie bei anderen Materialien. Nach der neuen Norm ist lediglich eine Wandstärke von 17,5 Zentimeter nötig. Zudem dürfen klimaschädlichere Baustoffe wie Zement nicht mehr zur Stabilisierung beigemischt werden – eine ausreichende Tragfähigkeit weist der Baustoff bereits in seiner Reinform auf. Zu beachten gilt jedoch weiterhin: Durch seine wasserlösliche Eigenschaft ist der Baustoff in allen Bauphasen vor direkter Witterung und Feuchtigkeit zu schützen.

Auch Wände aus Stampflehm können hohe Festigkeiten und guten Brandschutz erreichen, das haben Beispiele aus der Praxis gezeigt. So realisiert das Wuppertaler Büro ACMS Architekten derzeit im Auftrag des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) den Neubau des Eingangs- und Ausstellungsgebäudes LWL-Freilichtmuseum Detmold. Dabei wird eine Tragkonstruktion aus Holz durch tragende Wände aus Stampflehm ergänzt. Bei einem Brandversuch an einem 3 x 3 Meter großen Prüfkörper konnte die erforderliche Belastbarkeit des Stampflehms nachgewiesen werden (Feuerwiderstand über 90 Minuten REI90). Weitere Tests ergaben, dass die Wand einem Druck von 15 Tonnen für 90 Minuten standhielt. Auftraggeber der Zertifizierung durch die MFPA Leipzig GmbH ist der LWL, gefördert wird das Projekt durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU).

Dass auch bei Stampflehmwänden auf Stabilisatoren wie Zement, Kalk oder Chemikalien verzichtet werden kann, zeigen wiederum die Forschungsarbeiten von Martin Rauch (Lehm-Ton-Erde). Die Lösung wäre dann zum Beispiel, die Stärken der Lehmwände zu erhöhen. Der Verzicht auf Zuschläge bzw. Stabilisatoren sorgt dabei nicht nur für eine bessere Klimabilanz des Baustoffs, sondern gewährleistet auch die 100-prozentige Recyclingfähigkeit (Quelle: Unstabilisierter Stampflehm – 100% Erde). Rauch ist Honorarprofessor des UNESCO-Lehrstuhls Earthen Architecture und forscht zum Thema Lehmbau.

Wie Stampflehmwände oder Lehmsteine den baulichen Vorgaben entsprechend herzustellen sind, ist in mehreren DIN-Normen festgelegt. Danach können sich Planerinnen und Planer richten.

Weiterführende Literatur

  • Bauen mit Leichtlehm: Franz Volhard, 9. aktualisierte Aufl. 2021, Birkhäuser
  • Lehmbaukultur: Von den Anfängen bis heute, Jean Dethier, 2019, Hrsg.: Detail
  • Pisé – Stampflehm: Tradition und Potenzial, Hrsg.: Roger Boltshauser, Cyril Veillon, Nadia Maillard, 2020, Triest Verlag

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