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"Mehr Mut für nachhaltiges Bauen!"

Stand: März 2023
Foto, Dr Stefanie Weidner

Energie, Ressourcen und Nachhaltigkeit sind Themen, die die Baubranche bewegen. Ein Gespräch mit der Architektin und Stadtplanerin Dr. Stefanie Weidner über Nachhaltigkeitsstrategien, skandinavische Vorbilder und wie Beton nachhaltiger werden kann.

Sie sind Director of Sustainability Strategies bei Werner Sobek. Ist diese Position mittlerweile Standard in Planungsbüros?

Immer mehr Menschen in unserer Branche befassen sich mit Nachhaltigkeit. Aber dass ich mich täglich explizit mit Nachhaltigkeitsstrategien beschäftigen darf, empfinde ich schon als Privileg. Ich konnte mir das Stellenprofil quasi auf den Leib schreiben. Seit zwei Jahren arbeite ich jetzt in dieser Rolle und muss sagen: Es ist total erfüllend und abwechslungsreich.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Einerseits kommuniziere ich nach innen sowie mit unserer Task Force Triple Zero. Damit sind wir am Puls der Wissenschaft und der Forschung, zum Beispiel bei innovativen Baustoffen oder -techniken. Die Erkenntnisse geben wir dann an die Kolleginnen und Kollegen weiter – durch Fortbildungsprogramme, Leitfäden oder interne Tools. Ziel ist es, jede und jeden Einzelnen bei uns zu befähigen, Emissionen zu berechnen oder den Ressourcenverbrauch eines Gebäudes zu optimieren. Auf der anderen Seite steht die externe Kommunikation. Wir beraten Kunden in der nachhaltigen Projektplanung. Die Beratung beginnt im Idealfall in der Leistungsphase 0 und begleitet durch die verschiedenen Planungsschritte. Außerdem bieten wir Projektentwicklern unabhängig von konkreten Bauprojekten eine Strategieberatung an und unterstützen dabei, konkrete Nachhaltigkeitsziele und Visionen zu entwickeln und umzusetzen. Das ist ein vergleichsweise neues Angebot, wird aber in den letzten Jahren zunehmend nachgefragt. Hier lässt sich also ein Bewusstseinswandel feststellen!

Sie leiten auch das Kopenhagener Büro von Werner Sobek. Haben Sie eine Erklärung dafür, dass skandinavische Architektinnen und Architekten weltweit so gefragt sind beim nachhaltigen Bauen?

In Skandinavien gibt es seit Jahrzehnten ein völlig anderes Bewusstsein für die Qualität des städtischen Raums. Politik und Bevölkerung legen darauf sehr großen Wert. Bei der Planung steht hier immer der Mensch im Mittelpunkt. Und wirklich lebenswerte Räume schaffe ich erst dann, wenn sie auch im Einklang mit der Umwelt stehen. Wenn ich durch Kopenhagen laufe, merke ich erst, wie vielfältig und qualitativ hochwertig städtischer Raum sein kann!

Den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, behaupten viele von sich. Doch woran zeigt sich das?

Was in Skandinavien besonders gut klappt: das Miteinander und Zusammenleben zu fördern. In Kopenhagen gab es vor ein paar Jahren den Trend, Bestandsgebäude mit neuen Balkonen auszustatten. Als die ersten fertig waren, hat man aber plötzlich gemerkt, dass die Parks und öffentlichen Bereiche immer leerer wurden. Und sich die Menschen zunehmend in den privaten Raum zurückzogen. Das Projekt wurde direkt gestoppt! Heute setzt man viel stärker darauf, die Räume zwischen den Gebäuden zu beleben – durch Spielplätze, Grünanlagen und Sportgelegenheiten.

Gibt es in Dänemark bessere Rahmenbedingungen für nachhaltiges Bauen?

Was Normen und Verordnungen angeht, ist Dänemark nicht unbedingt weiter als wir. Es ist beispielsweise irrsinnig, standardmäßig 30 Zentimeter Dämmung zu verkleben. Auch der Bau mit nachwachsenden Ressourcen wie Holz ist an vielen Stellen durch die Normung erschwert. Was hier aber grundlegend anders ist: die Kommunalpolitik handelt konsequent nachhaltig. Kopenhagens Stadtplanung beispielsweise war ursprünglich sehr stark am Auto orientiert. Das hat die Politik nach und nach umgestellt. Zuletzt wurde entschieden, die Hälfte der Kfz-Stellplätze in der Stadt zu streichen. Und das ohne größere Proteste der Bevölkerung! In Deutschland wäre das undenkbar.

Was können wir sonst noch von den Dänen lernen?

In Dänemark wird sehr stark auf Wiederverwertung und zirkuläres Bauen gesetzt. Das liegt unter anderem daran, dass es ein kleines Land mit wenig eigenen Rohstoffen ist. Daher muss mit den Ressourcen effizient gehaushaltet werden. Und es gibt sehr innovative Projekte! Wie zum Beispiel die Resource Rows des Architekturbüros Lendager. Für den Bau der Häuser wurden viele alte Baustoffe wiederverwendet: Ziegelsteine, Fenster und sogar ein Betonträger als Brücke. Damit konnten sie fast 30 Prozent CO2 gegenüber herkömmlichen Neubauten einsparen. So etwas sollte auch in Deutschland möglich sein. Gewährleistungs- und Haftungsfragen zu wiederverwendeten Baustoffen setzen hierzulande zirkulärem Bauen aber enge Grenzen. Ich würde mir da mehr Mut wünschen – indem Bauherren in vielfach erprobten Bereichen die planenden und umsetzenden Unternehmen auch mal von der Gewährleistungspflicht befreien!

Acht Prozent der globalen CO2-Emissionen lassen sich auf die Produktion von Zement zurückführen. Warum setzen Sie als Planungsbüro trotzdem noch auf Beton?

Ich sehe die Probleme, die ein übermäßiger Betoneinsatz für das Klima schafft. Wo immer es möglich ist, setzen wir auf nachwachsende Rohstoffe. Allerdings ist beispielsweise Holz auch nicht endlos verfügbar. Zudem warne ich davor, Beton zu verteufeln. Das ist ein hervorragender Baustoff – bei der Verarbeitung, beim Brandschutz oder in Bezug auf seine thermischen Eigenschaften. Wir kommen also nicht immer drumherum, Beton weiter einzusetzen. Und deshalb brauchen wir für die Einsatzfelder, bei denen Beton unvermeidlich ist, Innovationen – an mehreren Stellen!

An welche Neuerungen denken Sie da?

Erstens befürworte ich, alte Betonteile wiederzuverwenden anstatt sie zu schreddern. Zweitens sollten wir Zementklinker in neuen Verfahren mit klimaschonenderen Alternativen substituieren. Wir stehen dazu im engen Austausch mit Beton- und Zementherstellern, um gemeinsam Lösungen zu erforschen. Und drittens gibt es bei den Bauteilen selbst Einsparpotenziale. Das lässt sich gut an einem Beispiel erklären. Die klassische 20-32-Zentimeter-Flachdecke wird nach wie vor sehr häufig eingesetzt. Für die Tragfähigkeit wird aber in den mittleren Bereichen – im Querschnitt betrachtet – eigentlich kaum Material benötigt. Denn hier ist die Spannung nur sehr gering. Als ressourcensparende Variante setzen wir daher zum Beispiel auf sortenreine Hohlkörperdecken. Neue Lösungsansätze gibt es also viele, aber sie werden meist nur sehr langsam umgesetzt.

Woran liegt das aus Ihrer Sicht?

Ein großes Hindernis ist, dass häufig Zulassungen fehlen, um neue Erkenntnisse aus der Forschung schnell umzusetzen. Besonders in der Wiederverwendung von Beton scheitert es nicht selten an der Normung. Außerdem müssen nachhaltige Alternativen wirtschaftlicher werden: Beton aus Portlandzementklinker ist im Vergleich zu den emissionsärmeren Varianten nach wie vor sehr billig. Und auf Bauherrenseite bestehen vielerlei Ängste und Befürchtungen – insbesondere dann, wenn noch nicht Schwarz auf Weiß und bis ins letzte Detail geregelt ist, wie bestimmte Verfahren funktionieren und wer diese anbietet.

Was erwarten Sie für die Zukunft des nachhaltigen Bauens?

Beim Blick auf das Klima befinden wir uns gefühlt in einer Dauerkrise. Eben erst ist der neue IPCC-Bericht erschienen. Mit der erschreckenden Nachricht: Wir haben 1,1 Grad Erwärmung schon jetzt erreicht. Dabei gilt es, trotzdem einen hoffnungsvollen Blick zu bewahren. Denn um die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten, ist es noch nicht zu spät! Alle Akteure der Baubranche müssen gemeinsam daran arbeiten, neue Lösungen zu finden – angefangen bei den politischen Entscheidungsträgern über die Bauherren bis hin zu den ausführenden Firmen. Gerade als Architekt:innen haben wir gelernt, multidimensional zu denken und komplexe Probleme zu lösen. Das muss uns jetzt im globalen Kontext gelingen!

Über Dr. Stefanie Weidner

Dr.-Ing. Stefanie Weidner ist Director Sustainability Strategies bei Werner Sobek und Büroleiterin in Kopenhagen. Ihr Fachgebiet ist die Nachhaltigkeit in Bezug auf Ressourcen- und Treibhausgasemissionsreduktion. Mehr Informationen auf der Website der Werner Sobek AG.

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