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Aus der grauen Maus wird ein Walter-Gropius-Bau

Stand: März 2023
Foto, Angelika Mettke

Plattenbauten haben keinen guten Ruf: hässlich, gleichförmig, grau. Doch es gibt mittlerweile beeindruckende Beispiele für anspruchsvollen Rückbau – alten Betonplatten kann in neuen Projekten wieder Leben eingehaucht werden. Eine Pionierin dieser Disziplin ist Angelika Mettke, Bauingenieurin und Professorin an der BTU Cottbus. Ein Interview über Baurecht, Klimaschutz und Gründe, in den Neunzigerjahren in Altpapiercontainer zu klettern.

Frau Mettke, lässt sich mit alten Betonplatten anspruchsvolle Architektur umsetzen?

Oft höre ich, dass das Bauen mit alten Betonplatten die Kreativität einschränkt. Da halte ich entschieden dagegen – neue Gebäude müssen ja nicht vollständig mit den gebrauchten Betonelementen errichtet werden. Wir können doch auch kombinieren, mit Holz zum Beispiel. Architektinnen und Architekten haben viel Spielraum. Die Stadtvillen in Cottbus, die vor 20 Jahren aus einem elfgeschossigen Plattenbau errichtet wurden, erinnern mehr an Walter Gropius als an die DDR-Wohnungsbauserien! Und beim Rückbau erkennen viele ostdeutsche Wohnungsunternehmen, dass sie mit dem verbleibenden Bestand nach dem Teilrückbau Quartiere wirklich aufwerten können. Das heißt, mit neuen Balkonen oder Loggien und bedarfsgerechten, besseren Grundrissen zu modernisieren. Das hat aus architektonischer Sicht auch einen städtebaulichen Charme und nichts mehr mit diesen quaderförmigen grauen Mäusen zu tun.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Betonplatten aus alten Gebäuden wiederzuverwenden?

Ende der 1980er Jahre sollten die Gebäude des Braunkohle-Tagebaus in der Nähe von Lauchhammer nach nur etwa zehn Jahren Nutzungszeit abgerissen werden. Dazu zählten zum Beispiel Fahrzeughallen und Werkstätten. In etwa zehn Kilometern Entfernung sind die gleichen Gebäude wieder gebraucht worden. In der DDR herrschte Mangelwirtschaft. Da lag es auf der Hand zu erkunden, ob diese in Stahlbeton-Skelettbauweise errichteten Gebäude rückbaufähig sind. Ich war zu Beginn selbst unsicher, ob das klappen würde. Aber das hat es! Die praktischen Tests belegen es.

In welchen Projekten setzen Sie alte Betonteile wieder ein?

Es gibt vielfältige Nachnutzungsmöglichkeiten. Ich habe bisher etwa 30 Projekte wissenschaftlich begleiten dürfen. Dazu zählen Einfamilienhäuser, Reihenhäuser, Vereinsheime und Garagen. Aber ich finde auch den Einsatz von schon einmal in Nutzung gewesenen Betonbauteilen im Landschaftsbau beeindruckend: So ist in Gröditz ein anspruchsvoller Freizeitpark gestaltet worden aus Betonteilen einer ehemaligen Oberschule. Auch Deiche können mit gebrauchten Betonelementen verstärkt werden. Bei jedem Bauvorhaben arbeiten wir interdisziplinär mit Architekten und Fachplanern zusammen.

Warum ist Beton-Recycling so wichtig?

Als Bauingenieurin beschäftige ich mich vorrangig mit technischen und technologischen Fragestellungen. Aber ich wähle bewusst darüberhinausgehend eine ganzheitliche, nachhaltige Perspektive. Und da ist es nur folgerichtig zu klären, was als Bauteil in Gänze wiederverwendet werden kann. Beiträge zum Klimaschutz zu leisten, ist wichtiger denn je: Die Zementherstellung ist für acht Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Jeder Kubikmeter Beton enthält zwischen 250 und 350 Kilogramm Zement – über 90 Prozent der CO2-Emissionen von Beton gehen auf den Zementanteil zurück. Insofern ist es ein Muss, die intakten, gebrauchten Betonbauteile nachzunutzen. Aber üblicherweise werden sie nach der Demontage geschreddert und im schlimmsten Fall deponiert. Das schmerzt! Ich habe in meinem Elternhaus gelernt, sorgsam mit Werten und Sachgegenständen umzugehen. Mein Vater hat unsere Lampen aus Eisen-Abfällen selbst gebaut, auch das Dreirad und den Roller für unsere Kinder. So bin ich groß geworden – mit der Wertschätzung für Material. Mit der Wegwerfkultur kann ich nichts anfangen!

Wie viel CO2 spart ein wiederverwendetes Betonteil im Vergleich zu neuem Beton?

Wir müssen bei der Wiederverwendung keine natürlichen Ressourcen abbauen. Der ganze Energieaufwand für die Herstellung von Beton inklusive der Materialbereitstellung entfällt. Also auch die CO2-Emission, die bei der Kalzinierung und Entsäuerung des Kalksteins bei der Zementherstellung entstehen. In Summe können etwa 95 bis 97 Prozent der Treibhausgase durch die Wiederverwendung eines Betonbauteils eingespart werden. Im Umkehrschluss heißt das: Um eine gebrauchte Betonplatte auf der Baustelle bereitzustellen, werden gegenüber der Bereitstellung eines neuen Betonelements am Werkstor nur drei bis fünf CO2-Emissionen freigesetzt.

Und ist die Wiederverwendung teurer?

Im Gegenteil, es ist tatsächlich günstiger! Je nachdem, wie hoch die Wiederverwendungsquote ist – das heißt, wie umfänglich der Planer gebrauchte Betonelemente für den Rohbau vorsieht, – können bis zu 30 Prozent der Neubaukosten eingespart werden. Ich gehe nicht davon aus, dass die Preise für Baumaterial perspektivisch deutlich sinken werden. Daher wird die Wiederverwendung gebrauchter Bauteile auch mit Blick auf die Kosten immer attraktiver.

Wenn es Kosten und CO2- spart: Warum wird Beton heute nicht häufiger wiederverwertet?

Da schwingen Unkenntnis und viel Ängstlichkeit mit. Viele Akteure sind skeptisch: Dabei ist schon im Altertum mit Gebrauchtem gebaut worden. Da ist die Bauwirtschaft einfach noch zu konservativ. Aber ich nehme einen Paradigmenwechsel bei den Bauherren und Planern wahr – auch weil der Klimaschutz stärker im Fokus steht. Öffentliche Bauherren wie Berlin sehe ich als Vorreiter für umweltverträgliche Beschaffungen auf dem Bausektor, zum Beispiel mit dem Leistungsblatt 26, Neubau und Komplettsanierung von öffentlichen Gebäuden. Hinzukommen etliche private Bauherren, die in Neubauten nicht nur gebrauchte Betonbauteile integrieren, sondern die verschiedensten Bauteile sekundär nutzen wollen. Es ist tatsächlich ein Umdenken im Gange, wenngleich derzeit bundesweit noch lange nicht ausreichend.

Was muss sich ändern, damit mehr Betonplatten wiederverwendet werden können?

Bautechnisch und -technologisch gibt es keine Hindernisse! Hier gibt es bereits professionelle Akteure am Markt, aber baurechtlich und förderseitig gesehen gibt es noch Hürden, die abzubauen sind. Die Fördermodalitäten sind nicht genügend darauf ausgerichtet, gebrauchte Betonelemente bei Neubauten einzusetzen. Gebrauchte Betonelemente kann man nur bereitstellen, wenn Montagebauten bauelementeorientiert rückgebaut und demontiert werden. So sollte der klassische Abbruch, der eine Zerstörung der Bausubstanz zur Folge hat, nicht in gleicher Höhe gefördert werden wie der bauelementeorientierte Rückbau. Das Bauen im und mit dem Bestand muss Priorität haben, denn dadurch wird auch weniger Bauabfall erzeugt. Das entspricht auch dem Zweck und der Hierarchie des Kreislaufwirtschaftsgesetzes und der Bauprodukteverordnung. Baurechtlich wird es einem auch nicht leicht gemacht. Weil für gebrauchte Betonbauteile keine anerkannten Regeln der Technik existieren, müssen die Baubehörden immer noch im Einzelfall zustimmen. Das ist natürlich ein erhöhter Aufwand für den Bauherren, und es schlägt zeitlich, aber auch kostenmäßig zu Buche.

Sind Erleichterungen in Sicht?

Auf Anregung von der Digital-Plattform Concular wird von einem interdisziplinär zusammengesetzten Team eine DIN SPEC zur Wiederverwendung von Bauteilen erarbeitet – sprich: Der Prozess der Wiederverwendung wird standardisiert. Das gilt nicht nur für Beton, sondern zum Beispiel auch für Stahlträger, Holzbalken und Ausbauelemente. Die DIN SPEC soll Bauherren ermutigen, Wiederverwendungen bei Bauvorhaben einzuplanen. Noch in diesem Jahr soll die DIN SPEC veröffentlicht werden. Ein weiterer Ansatz besteht darin, baurechtlich Erleichterungen zu schaffen, um dem Aufwand der Einzelfallzustimmung zu begegnen. Im EU-geförderten Forschungsprojekt ReCreate wollen wir mit juristischer Unterstützung dafür Sorge tragen, gebrauchte Betonbauteile nicht als Abfall zu deklarieren, sondern dass der Bauprodukt-Status erhalten bleibt, wenn bestimmte Parameter erfüllt sind. Dann würde die Wiederverwendung erleichtert werden. Zu klären sind außerdem noch Haftungsfragen.

Wenn ich in meinem Projekt alte Betonplatten verwenden möchte: Woher bekomme ich sie?

Das ist in der Tat eine wichtige Frage! Dafür gibt es bislang keinen definierten Weg. Derzeit ist es so, dass mich Bauherren kontaktieren. Es sind umweltbewusste Bauherren, die beispielsweise Interesse haben, ihr Eigenheim mit gebrauchten Betonbauteilen zu bauen. Sie fragen mich dann, wo sie diese erwerben können. Dann versuche ich zu vermitteln. Mittlerweile verfüge ich über ein bewährtes Netzwerk aus Planenden und Rückbauunternehmen. Aber das ist ein entscheidender Punkt: Wir brauchen über persönliche Kontakte hinaus wirklich eine Plattform, um zu erfassen: Welche Betonbauteile fallen wann wo an? Auch hier wollen wir im Rahmen unseres Forschungsprojekts ReCreate gemeinsam mit unseren Projektpartnern aus Finnland, Schweden und den Niederlanden eine digitale Datenbank zur Vermittlung von gebrauchten Betonteilen entwickeln. Neben der Kennzeichnung der bautechnischen Merkmale des jeweiligen Elementesortiments werden dort auch die umwelttechnischen Eigenschaften hinterlegt.

Aber gibt es nicht schon Online-Börsen für gebrauchte Baustoffe?

Das stimmt, und das ist ein toller Trend! Aber diese Börsen wie auch die digitalen Plattformen zu Materialkreisläufen befassen sich eher mit kleinteiligeren Bauteilen wie Fenster, Türen oder Gegenstände von Inneneinrichtungen oder künstlerischem Equipment. Solche gebrauchten Bauteile sind händelbar und daher finden sich auch reale Bauelementebörsen in Deutschland – am bekanntesten sind sicher die im Bauteilnetz Deutschland vernetzten Börsen, die auch digital arbeiten. Für großformatige gebrauchte Betonplatten gab es schon einmal ein Portal in Thüringen. Auf einem Firmengelände wurden gebrauchte Betonelemente zwischengelagert, aber der Absatz war nicht effizient, so dass diese Vermarktungsstrategie nicht weiterverfolgt wurde. Ja, und im Vergleich zu handhabbaren gebrauchten Bauteilen haben Betonelemente ein Gewicht von mehreren Tonnen. Zum einen ist ein Kran erforderlich und zum anderen eine umfassende Beurteilung mindestens zur Gebrauchstauglichkeit. Das ist schon ein nicht unerheblicher Aufwand. Die digitale Datenbank ist auch zu pflegen, um Angebot und Nachfrage koordinieren zu können. Und es werden auch dezentrale Lagerkapazitäten notwendig.

Zwischenlager gibt es nicht?

Für die Wiederverwendung im großen Maßstab fehlen sie. Ein möglicher Ansatz wäre, dass Recyclingunternehmen gebrauchte Bauelemente zwischenlagern. Platz wäre in vielen Fällen vorhanden. Werden die Betonelemente nicht abgerufen, können sie immer noch stofflich aufbereitet oder geschreddert werden. Ideal ist es natürlich, wenn kurze Transportwege zwischen Demontage-Baustelle und Wieder-Neubaustelle zurück zu legen sind und kein entferntes Zwischenlager notwendig wird. ist. Zum Beispiel sind die vor 20 Jahren gebauten Stadtvillen in Cottbus aus gebrauchten Betonelementen direkt neben der Demontagebaustelle errichtet worden.

Wie sehen die verwendeten Betonteile aus?

Die Plattenbauten in Ostdeutschland sind industriell in serieller Bauweise in Stahlbeton-Fertigteilbauweise errichtet worden. Die Betonelemente selbst sind standardisiert in modularer Ordnung gefertigt worden. Die von der Bauakademie entwickelten Typenserien wurden in den Bezirken modifiziert, sodass ein Bautyp in mehreren Varianten umgesetzt wurde. Am bekanntesten sind sicherlich die Bauserien WBS 70, WBR Erfurt oder der P2-Typ. Aufgrund der modularen Systeme – n mal 60 Zentimeter – lässt es sich aus geometrischer Sicht gut planen! Die verbauten Betonelemente weisen auch heute noch hohe Gebrauchseigenschaften auf. Allerdings sind die bautechnischen und -physikalischen Eigenschaften mit den aktuell gültigen Anforderungen je nach Einsatzort im Gebäude bei Wiederverwendungen zu prüfen. Jede einzelne Platte wurde damals in der DDR vor Verlassen des Betonwerks bautechnisch geprüft.

Was ist beim Einsatz der Platten zu bedenken?

Auf jeden Fall ist die Qualität der Bauelemente und deren Gebrauchstauglichkeit sicherzustellen – abhängig von den neuen Einsatzanforderungen. Als hilfreich sehe ich dabei das vom brandenburgischen Landesamt für Bauen und Verkehr herausgegebenen Merkblatt aus dem Jahr 2012 zur „Wiederverwendung von Fertigteilen aus Beton, Stahl- und Spannbeton“. Der mehrstufige Entscheidungsprozess fußt auf der von mir empfohlenen Vorgehensweise inklusive der Untersuchung von baustoff- und bautechnischen Eigenschaften.

Woher haben Sie die technischen Informationen zu den Betonteilen?

Es gibt für die jeweiligen Typenbauten Projektierungskataloge, die das Standardsortiment kennzeichnen. Das IEMB Institut für Erhaltung und Modernisierung in Berlin ist eine gute Adresse, denn es verfügt über ein Archiv an Projektierungsunterlagen und Datenblättern zum Elementesortiment. Darüber hinaus habe ich recherchiert, wer noch im Besitz von Datenblättern sein könnte, um die verschiedenen bezirklichen Ausführungsvarianten zu erfassen. Als nach der Wiedervereinigung viele Dokumente entsorgt wurden und in Containern landeten, bin ich schon mal eingestiegen, um auch Projektierungskataloge zu retten. Aber der Umfang ist als gering zu werten, denn mir fehlte der Platz zur Archivierung. Das bedauere ich heute noch.

Und es wurde zu DDR-Zeiten wirklich alles standardgemäß verbaut?

Ja. Dennoch muss man immer eine Bauaufnahme vor dem Rückbau und der Wiederverwendung durchführen. Wir haben festgestellt, dass das verbaute Elementesortiment immer wieder auch von den Projektierungsunterlagen abweicht – offenbar der damaligen Verfügbarkeit geschuldet. Mehrschichtige Außenwände sind beispielsweise mit verschiedenen Dämmstoffen gedämmt. Mit messtechnischen Hilfsmitteln wie dem Bewehrungssuchgerät ermitteln wir die Lage, Anzahl der Bewehrung und Betonüberdeckung. Anhand von Bohrkernen überprüfen wir die Betondruckfestigkeit und gleichen die Prüfergebnisse mit unseren zerstörungsfreien Prüfverfahren wie dem Rückprallhammer ab.

Über Angelika Mettke

Angelika Mettke ist Bauingenieurin und Professorin für Bauliches Recycling an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus-Senftenberg. Für ihre Verdienste um die Erforschung und die praktische Umsetzung von Beton wurde sie 2016 mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet.

Mehr Information auf der Seite der BTU

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