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„Technik wird oft aus Angst eingesetzt“

Stand: Februar 2023
Foto, Professorin Elisabeth Endres

Komplexe technische Anlagen versprechen in Gebäuden eine hohe Energieeffizienz. Allerdings: in der Praxis werden die Zielwerte selten erreicht, so Elisabeth Endres. Die Professorin für Gebäudetechnologie an der TU Braunschweig will mit einem Lowtech-Ansatz einen anderen Weg gehen und propagiert eine einfache, nachhaltige und robuste Bauweise. Sie spricht im Interview über Grenzen und Möglichkeiten der Lowtech-Architektur ­– und warum wir heute oft so technikversessen bauen.

Frau Endres, wollen Sie sich mit Ihrem Lowtech-Ansatz von der Gebäudetechnik verabschieden?

Nein. Lowtech ist auf keinen Fall gleichbedeutend mit „No-Tech“. Entscheidend für Lowtech ist die Konstruktion: Diese sollte möglichst einfach und reparaturfähig sein. Komponentenarmes Bauen ist das Schlagwort. Das bedeutet einerseits, dass unnötige Gebäudetechnik und andere überflüssige Komponenten weggelassen werden. Andererseits sollte die Steuerung möglichst einfach sein. Überspitzt gesagt: Ein An-Aus-Knopf reicht in den meisten Fällen.

Ist Lowtech-Architektur nachhaltig?

Die Arbeit mit hochwertigen und langlebigen Materialien sowie eine einfache Grundriss- und Fassadengestaltung ist für den Lowtech-Ansatz entscheidend. Wir versuchen mit weniger Komponenten zu planen und die Steuerung zu vereinfachen, um so möglichst robuste Gebäude zu erschaffen. Das ist für mich der Kern von Nachhaltigkeit. Ziel muss es sein, die graue Energie von Bestandsgebäuden möglichst lange zu binden.

Welche Probleme sehen Sie beim konventionellen Bauen?

Gebäude werden präzise auf Nutzungsszenarien angepasst, die einem Worst-Case-Szenario entsprechen ­– zum Beispiel minus 16 Grad im Winter. Dies bildet nicht den Standardfall ab und führt zu mehr Technik oder einer darauf ausgelegten Steuerung mit Fehlerquellen in der Bedienung. Für uns ist das der falsche Ansatz. Ich plädiere für eine Auslegung auf den Regelfall und vor allem mit dynamischen Werkzeugen – für die fünf kältesten Tage im Jahr darf auch einmal über das Umlegen einer Decke diskutiert werden. Ich denke, dass wir gesamtgesellschaftlich eine Antwort auf die Frage „Wie viel ist genug?“ finden müssen. Mit immer „höher, schneller, weiter“ werden wir die Klimaziele nicht erreichen.

Ist Lowtech eigentlich kostengünstig?

Kluge Lowtech-Lösungen sind definitiv günstiger. Ein Beispiel findet sich in einem kürzlich veröffentlichen Artikel des Umweltbundesamtes – er zeigt auf, dass ein einfacher Ventilator an der Decke auch bei 28 Grad Außentemperatur noch eine empfundene Kühlleistung erbringt und das ganz ohne komplexe und kostenintensive Technik. Hinzu kommt: Eine zentrale Technik erfasst nie alle Nutzenden gleichermaßen. Einen Ventilator kann ich hingegen einfach und individuell steuern. Und: Wenn ich bei den Kosten für technische Anlagen weniger Geld ausgebe, bleibt am Ende mehr Geld für nachhaltige und ökologische Baustoffe. Die sind nämlich nach wie vor teurer als konventionelle Materialien.

Warum bauen wir aktuell derart komplexe Gebäude?

Im Grunde haben wir ein Luxusproblem: Wie erwähnt, stellen wir sehr hohe Anforderungen an messbare Parameter in Gebäuden. Da Planer die Anforderungen einhalten müssen, wird Technik auch oft aus Angst eingesetzt und die Aufgabe lieber übererfüllt – unendliche Diskussionen oder gar einen Rechtsstreit wollen alle Beteiligten vermeiden! Hinzu kommt, dass Menschen Gebäudetechnik nur selten so nutzen, wie sie in der Planung gedacht wurde. Das führt zu einem Rebound-Effekt: Das Einsparpotenzial von effizienzsteigernden Maßnahmen wird nicht verwirklicht. Oft klaffen der Zielwert und die tatsächlichen Werte weit auseinander. Letztlich wird allzu oft vergessen, im Vorfeld die eine zentrale Frage zu stellen: Was muss das Gebäude leisten? Erst im zweiten Schritt sollten wir uns fragen, welche Materialien und Technik man wirklich braucht, um das Ziel zu erreichen. Diesen Schritt müssen Planer gemeinsam mit den Bauherren entwickeln, damit nicht am Ende jeder für sein Gewerk mit den Maximalanforderungen plant.

Wo würden Sie ansetzen?

Viel wichtiger als die Technik ist das passive Gebäudeverhalten: Wir müssen wieder die Architektur und die Konstruktion in den Fokus rücken. Gutmütige Gebäude bringen von sich aus eine geringe Heiz- und Kühllast mit sich. Gewerbebauten aus der Zeit der Industrialisierung sind beispielsweise sehr gut nachrüstbar und resilient, was ihr Nutzungsverhalten angeht – sie können in Büros, Wohnungen oder Ladengeschäfte umgewandelt werden. Die effektivsten Häuser sind immer die, in die ich gut Luft und Licht bekomme. Plane ich dann noch eine gewisse Raumhöhe und ein nachvollziehbares Schachtsystem ein, habe ich die Basis für ein robustes Gebäude. Das lässt sich alles baulich erreichen – ohne kompliziert verbaute und gesteuerte Technik. Klar: Am Ende müssen wir uns fragen, auf welchen Komfort wir verzichten können – auch hier braucht es ein Umdenken.

Welche politischen Rahmenbedingungen braucht es, um Lowtech-Architektur zu unterstützen?

Ich bin eine Befürworterin von individuellen CO₂-Budgets – nicht die Quadratmeter pro Kopf sollten zählen, sondern der CO₂-Verbrauch pro Person. Ich denke, dass dies leichter umzusetzen wäre als Verbote. In der Schweiz gehen einige Kantone und Gemeinden mit der 2000-Watt-Gesellschaft in die richtige Richtung. Hierzulande fehlt mir eine ernsthaft geführte politische Debatte dazu – und damit die Instrumente zur Umsetzung. Unsere Förderlandschaft muss sich grundlegend ändern, wir führen hier – oft nicht mehr zeitgemäße – Programme aus den 1990er Jahren fort, die es seinerzeit brauchte. In die richtige Richtung weist das nun für die Neubauförderung verpflichtende Qualitätssiegel Nachhaltige Gebäude (QNG) – es ist wichtig, dass die Gesamtökologie berücksichtigt wird. Außerdem darf das Gebäudeenergiegesetz nicht nur Anforderungen für Neubauten definieren, sondern muss solche auch an den Bestand richten. Und natürlich: lieber umbauen und sanieren, anstatt neu zu bauen. Das zeigt auch der Baukulturbericht der Bundesstiftung Baukultur sehr eindrücklich.

Welche Hilfestellung bräuchten Planer und Architekten, um wieder einfachere Gebäude zu konzipieren?

Wir müssen den Prozess des Planens wieder priorisieren. In früh angesetzten Workshops für die Planerrunde müssen die Ziele abgestimmt werden – immer mit der Frage im Hinterkopf „wie wenig ist genug, um gut zu bauen?“ Das erfordert eine gewisse Bereitschaft, eigene Prozesse zu überdenken, kooperativ und interdisziplinär zu arbeiten. Ein wichtiges Planungswerkzeug sind softwarebasierte dynamische Gebäudesimulationen – leider sind diese momentan noch kein Regelwerkzeug. Bislang wird die Gebäudeperformance zu theoretisch, statisch und zu spät berechnet. Was wir brauchen, sind dynamische Analysen, die bereits in der Phase 2, der Vorplanung, beginnen. Ein Beispiel: In einem Projekt mussten wir regelrecht um eine Simulation betteln. Die Kosten hierfür lagen bei 7.000 Euro – am Ende hat uns dieser Prozess 130.000 Euro gespart, weil wir auf ein zweites Techniksystem verzichten konnten! Das zeigt: Gewissenhafte Planung, gute Absprachen und dynamische Simulationen zahlen sich aus.

Funktioniert Lowtech-Architektur nur für Neubauten?

Klares Nein. Wir können sehr viel vom Bestand lernen. Zum Beispiel haben wir kürzlich an der Universität Eichstätt einen Vorlesungsraum modernisiert. Der Raum hatte bauzeitlich keine Lüftungsanlage und ein Problem mit der Behaglichkeit und Luftqualität bei voller Besetzung. Statt eine teure und komplexe Lüftungsanlage mit individueller Steuerung auf das Dach zu stellen, haben wir uns gefragt: Wie wenig reicht, um die Performance des Raumes zu optimieren? Wir haben den bereits vorhandenen Technikraum genutzt und ein Gerät eingebaut, das nur die Grundlüftung übernimmt. Die Studierenden müssen, wenn es voll wird, weiterhin selbst regelmäßig lüften – die Nutzenden sind am Ende also mitverantwortlich für die Behaglichkeit im Raum. Einige finden das nicht zumutbar – ich schon!

Was sind für Sie besonders gelungene Beispiele für Lowtech-Architektur?

Es gibt viele inspirierende Beispiele. Besonders beeindruckt haben mich die drei Forschungshäuser von Florian Nagler in Bad Aibling. Auch das 2226 Haus in Lustenau überzeugt – und das, obwohl dort einiges an Elektrotechnik verbaut ist. Diese Beispiele zeigen, dass der Begriff Lowtech sehr facettenreich ist. Alle Gebäude eint, dass drei Komponenten zentral sind: Erstens die Performance des Hauses, zweitens die Integration der Technik und drittens die Versorgung des Gebäudes. Wir dürfen eins nicht vergessen: Die Lebenszyklen von Technik liegen bei 15 bis 20 Jahren. Die von Gebäuden hingegen idealerweise bei weit über hundert Jahren.

Über Elisabeth Endres

Elisabeth Endres ist seit 2019 Professorin für Gebäudetechnologie und leitet das Institut für Bauklimatik und Energie der Architektur an der Technischen Universität Braunschweig. Darüber hinaus verantwortet sie in der Geschäftsleitung des Ingenieurbüros Hausladen ganzheitliche Konzeptentwicklungen.

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