„Start-ups sind wichtige Innovationsmotoren – aber keine Allheilsbringer“
Stand: April 2024Die Klimaziele erfordern ein grundlegendes Umdenken in der Baubranche. Start-ups setzen dabei vielfach wichtige Impulse und bieten neue technische Lösungen für bestehende Herausforderungen. Allein können sie den Wandel jedoch nicht stemmen. Warum Unternehmen sich stärker für die Zusammenarbeit mit Start-ups öffnen sollten und was es dabei zu beachten gilt, erklärt Dr. Manuel Götzendörfer im Interview.
Herr Dr. Götzendörfer, welche Rolle spielen Start-ups auf dem Weg in die klimaneutrale Baubranche?
Als Baubranche müssen wir ganz selbstkritisch sagen: Wir haben uns über die Jahre nicht gerade als Innovationstreiber hervorgetan. Start-ups hingegen haben keine mentalen Altlasten und stellen Bestehendes bewusst in Frage. Auch Prozesse und Lösungen, die sich schon über Jahre in der Branche festgesetzt haben! Sie sind unglaublich gut darin, neue Technologien aufzugreifen und daraus in einer enormen Geschwindigkeit nutzenstiftende Lösungen zu entwickeln. Das können herkömmliche Unternehmen so kaum leisten. Auf diese neuen Impulse sind wir aber dringend angewiesen. Denn: Mit einem „Weiter so“ werden wir die Klimaziele nicht erreichen. Wir brauchen bessere und cleverere Lösungen!
Welche Innovationen haben Start-ups in die Branche eingebracht?
Start-ups haben in den letzten Jahren enorm viele neue Felder besetzt: Ob nachhaltige Materialien, vorgefertigte Bauelemente, Robotik, digitale Tools oder neue Carbon-Capture-Technologien. Die Liste ließe sich noch lange weiterführen. Wir haben Ende 2023 ein Start-up-Radar veröffentlicht, in dem 55 Start-ups vorgestellt werden, die alleine für das Themenfeld Kreislaufwirtschaft rund um Bauwerke Lösungen bieten. Dabei muss man sagen: Noch vor fünf Jahren war der Bausektor in der Gründerszene überhaupt nicht en vogue. Grund für diesen Kurswechsel ist sicher, dass das Thema Nachhaltigkeit in der Branche stark an Bedeutung gewonnen hat. Die Bedarfe sind groß – das verspricht jungen Unternehmerinnen und Unternehmern gewaltige Marktpotenziale.
In welchem Bereich sind aktuell die größten Veränderungen spürbar?
Gerade was das Thema Kreislaufwirtschaft angeht, nehmen wir ein enormes Interesse wahr. Vielfach fehlt es aber noch an Know-how. Bei BEFIVE haben wir erst im letzten Jahr rund 40 Unternehmen an einen Tisch gebracht – um sich auszutauschen und voneinander zu lernen. Wenn ich heute einen Planer damit beauftrage, mit kreislauffähigen Materialien zu bauen, weiß der oft gar nicht, wo er ansetzen soll. Dieses Wissen muss sich die Branche erst aneignen. Und wer heute schon damit beginnt, wird später einen enormen Wettbewerbsvorteil haben. Denn es steht fest: Der Trend wird immer stärker in Richtung zirkuläres Bauen gehen. Und viele Start-ups bieten da heute schon sehr vielversprechende Lösungen.
Sind Start-ups die wahren Treiber der Klimawende in der Branche?
Das kann ich so nicht unterschreiben. Start-ups sind wichtige Innovationsmotoren, aber sie sind keine Allheilsbringer. Herkömmliche Unternehmen haben jahrelange Erfahrung in der Branche und wissen auch, an welchen Stellen es im Zweifel hakt. Sie sind gut vernetzt, haben sich eine Reputation erarbeitet und verfügen über Marktzugänge. Kurz gesagt: Etablierte Unternehmen haben die notwendige Branchenkompetenz, Start-ups sind die Lösungspartner. Und erst in der Zusammenarbeit kann echte Veränderung entstehen. Aber das klappt natürlich nicht immer auf Anhieb. Denn da treffen erst mal zwei Welten aufeinander…
Inwiefern?
Unternehmen, die zum ersten Mal mit einem Start-up zusammenarbeiten, sind schnell mal irritiert. Denn anders als bei einem typischen Lieferanten bekommt man bei einem Start-up oftmals kein fertiges Produkt. Start-ups wollen ihr Produkt vielmehr durch die Zusammenarbeit zielgerichtet weiterentwickeln und optimieren. Auf Unternehmensseite kann das für Unsicherheit sorgen – schließlich gibt es keine hundertprozentige Garantie, was am Ende dabei herauskommt. Umgekehrt arbeiten Start-ups in einer ganz anderen Geschwindigkeit als herkömmliche Unternehmen. Sie haben in aller Regel eine zeitlich begrenzte Finanzierung und müssen in diesem Zeitraum auch liefern. Wenn Prozesse sich in einem etablierten Unternehmen gut und gerne mal über ein halbes Jahr ziehen, kann das für ein Start-up tödlich sein.
Wie unterstützen Sie bei BEFIVE in der Zusammenarbeit?
Wir begleiten in erster Linie Unternehmen und unterstützen sie bei der Suche nach innovativen Kooperationspartnern – das heißt nach den passenden Start-ups. Denn dabei können einige Fehler gemacht werden – gerade was die Einschätzung von Qualität und Reifegrad angeht. Wie viel Kapital die Start-ups bereits eingesammelt haben, gibt mir beispielsweise einen Hinweis darauf, wie weit die Produktentwicklung bereits fortgeschritten ist. Ein wichtiges Qualitätsmerkmal ist zudem, welche Investoren hinter dem Start-up stehen. Dieses Wissen kommt erst mit der Erfahrung. Außerdem werben wir natürlich dafür, Verständnis für die jeweiligen Prozesse bei den Partnern aufzubringen und sind gewissermaßen das Bindeglied zwischen ihnen.
Wie können Unternehmen sich stärker für die Zusammenarbeit mit Start-ups öffnen?
In der Baubranche täten wir gut daran, ab und an etwas mehr Risikobereitschaft zu zeigen. Natürlich ist es wichtig und richtig, dass wir in unserer Branche auf Sicherheit setzen – schließlich sollen unsere Gebäude in der Nutzungsphase über viele Jahrzehnte einwandfrei funktionieren. Aber wir müssen uns öfter trauen, Neues auszuprobieren, neue Wege zu beschreiten. Vielleicht läuft beim ersten Einsatz der Startup-Lösungen noch nicht alles ohne Komplikationen. Aber nur so haben wir die Möglichkeit neue Erkenntnisse zu gewinnen und bessere Lösungen in Anwendung zu bringen. Sich darauf einzulassen, verlangt eine gute Lern- und Fehlerkultur im Unternehmen und in der gesamten Branche.
Was braucht es von der Politik, um nachhaltige Innovationen stärker voranzutreiben?
Oft kritisieren wir, dass gesetzliche Rahmenbedingungen Innovationen hemmen. Aber richtig umgesetzt, können sie auch enorme Anreize schaffen. Ein Paradebeispiel sind die Environmental Social & Corporate Governance-Kriterien oder kurz ESG. Dank dieser EU-Gesetzgebung ist es gelungen, das Thema Nachhaltigkeit binnen kurzer Zeit weit oben auf die Tagesordnung der meisten Unternehmen zu katapultieren! Indem es Finanzströme zielgerichtet lenkt, hat das Instrument ESG genau an der richtigen Stelle angesetzt. Aber auch noch sehr viel praxisnäher kann die Politik wichtige Stellschrauben setzen. Schließlich ist der Staat der größte Bauherr in Deutschland und könnte innovative, ressourcensparende Ansätze in öffentlichen Ausschreibungen noch stärker fördern. Und wenn der Staat hier mit gutem Beispiel vorangeht, überträgt sich das auch auf die gesamte Wertschöpfungskette.
Welche Innovationen sind in den kommenden Jahren zu erwarten?
Sehr viel Potenzial sehen wir nach wie vor im Bereich Digitalisierung, Stichwort Künstliche Intelligenz (KI). Als gelernter Architekt habe ich etwa eine Idee davon, wie sich generative KI zukünftig auf den Planungsprozess auswirken wird. Oder was sich im Betrieb von Gebäuden verbessert – denn schon heute lässt sich der Energieverbrauch allein durch KI-optimierte Steuerung um bis zu 30 Prozent senken. Welche Möglichkeiten die neue Technologie in den kommenden Jahren darüber hinaus noch eröffnet, ist heute indes nur teilweise abschätzbar. Die Entwicklung ist sehr dynamisch, da sollte man jetzt auf keinen Fall den Zug verpassen. Gerade seit Mitte 2023 kommen immer mehr Unternehmen auf uns zu, um eine KI-Strategie zu entwickeln und KI-Lösungen in Anwendung zu bringen. Klar, GPT-Modelle namhafter Softwareanbieter kommen in vielen Unternehmen zunehmend zum Einsatz. Wirklich spannend wird es aber insbesondere dann, wenn Unternehmen eigene KI-Lösungen in ihre Produkte und Wertschöpfung integrieren!
Über Dr. Manuel Götzendörfer
Dr.-Ing. Manuel Götzendörfer ist Gründer und Managing Director des Innovations-Dienstleisters BEFIVE. Gemeinsam mit namhaften etablierten Unternehmen, vielversprechenden Start-ups und relevanten Stakeholdern treibt er mit BEFIVE Innovationen, Ventures und Unternehmenstransformationen im Built Environment Sektor voran.