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„Klimaschutz geht nicht ohne eine neue Umbaukultur“

Stand: November 2022
Foto, Inga Glander

Am 8. November hat die Bundesstiftung Baukultur ihren jüngsten Baukulturbericht „Neue Umbaukultur“ vorgestellt. Kernaussage: Aus klima- und energiepolitischen Gründen müsse der fortwährende Kreislauf von Abriss und Neubau dringend unterbrochen werden. Es gelte, eine neue Umbaukultur zu begründen. Auf 148 Seiten gibt die Stiftung allen, die mit Planen und Bauen zu tun haben, entsprechende Handlungsempfehlungen. Ein Gespräch mit der Projektleiterin Inga Glander.

Frau Glander, Sie treten für eine neue Umbaukultur ein – die Bundesregierung möchte 400.000 neue Wohnungen schaffen. Passt beides zusammen?

Das ambitionierte Ziel widerspricht unserem Bericht nicht, im Gegenteil: Große Ziele sind wichtig! Was in der Debatte einfach zu kurz kommt, ist die Tatsache, dass im Bestand enorme Chancen für mehr Wohnraum liegen. Eine Studie der TU Darmstadt hat ausgerechnet, dass allein durch Aufstockung in Ballungszentren über zwei Millionen Wohnungen geschaffen werden könnten.

Umbau statt Neubau – predigen Sie damit nicht eine Verzichtslogik?

Nein. Diese Verzichtslogik und „wir müssen“-Gedanken bringen uns keinen Schritt weiter. Am Ende machen wir nur das, was wir gerne tun, auch im Baubereich. Wir wollen dazu beitragen, den Wert des Bestands zu erkennen und mit Freude zu sanieren!

Ein wichtiger Aspekt ist natürlich der Klimawandel. Die Grenzen des Wachstums sind sichtbar, es brennt – im wahrsten Sinne des Wortes – überall. Die Baubranche und ihr negativer Impact blieben dabei lange unter dem Radar. Klar, Diskussionen über To-go-Becher und Plastiktüten müssen auch geführt werden – aber unsere Stellung als „Elefant im Klimaraum“ wurde erst viel zu spät thematisiert! Genauso wie ich mich frage, ob ich mir wirklich den zehnten Mantel kaufen muss, sollte ich mich auch fragen, ob es einen weiteren Neubau braucht – oder ob ich auf bereits Bestehendes zurückgreifen kann. Oft sind hier sogar Qualitäten zu finden, zum Beispiel räumliche Großzügigkeit oder hochwertige Materialien, die man sich bei einem Neubau gar nicht mehr leisten würde.

Warum sind Sanierungen so viel klimafreundlicher als energieeffiziente Neubauten?

Insbesondere der ältere Gebäudebestand wurde im Zusammenhang mit dem Klimaschutz bislang kritisch beurteilt, da der Fokus auf einer Energieeffizienz im Betrieb lag. Ein unsanierter Bestand steht im Betrieb schlecht da, ein energieeffizienter Neubau ist da wesentlich besser. Für den Klimaschutz sind jedoch die klimaschädlichen Emissionen relevant – und die fallen nicht nur im Betrieb, sondern auch beim Bau und Abriss eines Bauwerks an. Interessant ist, dass durch den zunehmenden Anteil erneuerbarer Energien der geringere Teil der Emissionen auf den Betrieb zurückgeht. Konkret: Bei einem 2020 gebauten Einfamilienhaus im Standard EH 40 machen die Emissionen während der Nutzung bis zum Jahr 2050 weniger als 8 Prozent aus. Die Emissionen entstehen zu über 90 Prozent während der Herstellung der Baustoffe, des Transports usw. Ein auf EH 40 saniertes Bestandsgebäude verursacht nur ein Drittel der Emissionen eines Neubaus. Selbst beim niedrigeren EH 85 Standard sind es nur 40 Prozent der Emissionen. Der Bestand hat also einen klaren Startvorteil.

Sie sprechen von „goldener Energie“. Was steckt dahinter?

Aus dem Bestand kennen wir bereits den Begriff der grauen, also ressourcenbezogenen Energie. Aber es geht auch um einen emotionalen bzw. immateriellen Wert: Die Häuser haben eine Geschichte und einen individuellen Charakter. Es wurde bereits Arbeits- und Gedankenkraft investiert und die Menschen haben sich an das Gebäude in seinem spezifischen Kontext gewöhnt. Aus dem was schon da ist, kann durch kluges Weiterbauen ein Unikat entstehen, mit dessen Qualitäten viele Neubauten nicht mithalten können. Das muss auch begrifflich positiv ausgedrückt werden, deshalb goldene Energie. Wir wissen aus unserer Bevölkerungsumfrage auch, dass jede zweite Person im Laufe ihres Lebens schon einmal den Abriss eines Bauwerks bedauert hat – dem können wir entgegenwirken.

Sie haben selbst als Architektin gearbeitet. Was macht mehr Spaß: Umbau oder Neubau?

Als Architektin habe ich überwiegend an Umbauten gearbeitet, habe mir aber immer ein Neubauprojekt gewünscht. Das lag sicherlich auch an meiner Ausbildung: Nach wie vor gibt es nur wenige Lehrstühle, die sich mit dem Bestand auseinandersetzen. Vor allem aber machen die aktuellen Rahmenbedingungen den Umbau unattraktiv. Unsere Regelwerke und Normen sind auf den Neubau ausgerichtet, dabei liegen zwei Drittel aller Bauaufgaben bereits im Bestand – Tendenz steigend.

Was muss jetzt geändert werden, damit es der Umbau künftig leichter hat?

Wir brauchen einen Paradigmenwechsel: Wir sollten unsere Regularien und auch die Förderkulisse auf Umbau ausrichten. Andererseits liegt es auch an den Gebäuden selbst. Es fließt wenig Geld in die Objektpflege, die Häuser sind häufig in einem schlechten Zustand – das ließe sich vermeiden. Eine neue Umbaukultur braucht ein sinnvolles Facility Management. Projekte müssen zu Beginn gut aufgesetzt werden – das spart hinterher Zeit und Geld. Wenn ich anfänglich in gute Qualität, Materialien und Gestaltung investiere, muss ich hinterher weniger austauschen. Nach Abschluss des Projekts ist die Arbeit jedoch nicht getan – gutes Monitoring und Pflege müssen für die Umbaufähigkeit mitbedacht werden.

Und wir müssen auch unsere Bauweise überdenken. Es ist oft einfacher ein Haus aus dem 18. Jahrhundert zu sanieren als eines aus den 1960ern, denn es wurden langlebige Materialien verwendet und handwerklich gefügt – im Grunde das, was wir heute mit einer Kreislaufwirtschaft im Bauen wieder fordern. Dahin müssen wir zurück – und alle Learnings der letzten Jahre mitberücksichtigen. Wir brauchen also eine neue Umbaukultur, die auch beim Neubau schon den Umbau mitdenkt.

Was wünschen Sie sich von der Politik?

Mehr Flexibilität. Schauen wir uns zum Beispiel die Stellplatzpflicht an. Möchte ich ein Bürogebäude als Wohngebäude umnutzen, gibt es starre Regularien, die festlegen, wie viele Stellplätze angeboten werden müssen. Sind entsprechende Stellplätze nicht nachweisbar, kann das ganze Projekt platzen. Das ist absurd! Stattdessen können wir uns neue Lösungen ausdenken, in diesem Fall wären Quartiersgaragen vielleicht eine gute Alternative. Auf regulativer Ebene ist eine Erleichterung für den Bestand unbedingt erforderlich, wir haben dazu die „Big Six“ der Hemmnisse für den Umbau definiert: Brandschutz, Schallschutz und Wärmeschutz, Barrierefreiheit, Abstandsflächen und eben Stellplätze – hier braucht es Augenmaß. Wir sollten vom Bestand nicht erwarten, alle Anforderungen eines Neubaus zu erfüllen. Dann wird es kompliziert und teuer.

Soll die Politik den Abriss generell verbieten?

Nein. Aber wir sollten den Abriss erschweren. Im Einzelfall gibt es gute Argumente für einen Abriss oder Ersatzneubau. Da dürfen wir nicht dogmatisch sein. Wir müssen uns aber Fragen, ob es noch zeitgemäß ist, dass beispielsweise in den Landesbauordnungen in der Regel der Abriss von freistehenden Gebäuden der Gebäudeklassen 1 und 3 anzeigebefreit ist – das sollte stärker reglementiert werden. Eine Möglichkeit wäre, für eine Abrissgenehmigung eine Berechnung zu verlangen.

Die Baubranche steht vor großen Herausforderungen. Wie blicken Sie in die Zukunft?

Man merkt, dass sich gerade viel bewegt. Angestoßen durch Bewegungen wie Architects for Future, aber auch Initiativen vieler Kammern und Verbände der Baubranche, beobachten wir bei der Bundesstiftung Baukultur einen starken Wandel. Schlagworte wie „Bauwende“ werden intensiv diskutiert. Die Förderlogik wird Stück für Stück umgestellt, auch der Ruf nach einem Abrissmoratorium geht nicht spurlos am Baugeschehen vorbei. Aus der EU kommt ebenfalls Druck, das spürt auch die Immobilienwirtschaft: Perspektivisch werden sich Immobilien, die ökologischen und sozialen Kriterien nicht genügen, nicht mehr verkaufen lassen – das hat Einfluss auf die Märkte. Unternehmen müssen sich umstellen, wenn sie bestehen wollen. Bei der Bundesstiftung Baukultur erhoffen wir uns, dass im Zuge der Nachhaltigkeitsdebatte auch wieder verstärkt auf gestalterische Aspekte geachtet wird. Wirklich nachhaltig ist schließlich das Bauwerk, das möglichst lange steht: weil die Bausubstanz entsprechend hochwertig ist, aber auch weil es wertgeschätzt und gepflegt wird.

Weiterführende Informationen

Den aktuellen Baukulturbericht 2022/23 „Neue Umbaukultur“ bestellen oder downloaden: www.bundesstiftung-baukultur.de/publikationen/baukulturbericht/2022-23.

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