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Vereinfachte Ökobilanzanalyse im Bauwesen

Stand: Mai 2025

Von: Passivhaus Institut

Foto, Magdalena Patyna

Die Lebenszyklusbetrachtung von Gebäuden gewinnt zunehmend an Relevanz. Dennoch ist ihre Umsetzung bislang nicht allzu weit verbreitet. 

Magdalena Patyna, Umweltingenieurin, wissenschaftliche Mitarbeiterin und LCA-Expertin im Passivhaus Institut, erläutert mögliche Gründe und welche Potenziale in einer vereinfachten Lebenszyklusbetrachtung liegen.

Welche Potenziale sehen Sie in der Ökobilanzierung (LCA)?

Sobald man sich mit der Ökobilanzierung befasst, beschäftigt man sich automatisch auch mit der Frage, was der Betrieb eines Gebäudes über die kommenden Jahrzehnte bedeutet. Man löst sich dadurch von einer reinen Fixierung auf die Investitions-Emissionen und optimiert stattdessen, was langfristig ökologisch am sinnvollsten ist – und genau darin liegt die Stärke der Ökobilanz.

Dabei ist eine ökologische Lebenszyklusanalyse nicht weit entfernt von einer Betrachtung der Lebenszykluskosten – denn Energieeinsatz, ob für Material oder Heizung, kostet schließlich Geld. Wer ökologisch über den Lebenszyklus optimiert, trägt damit meist auch zur ökonomischen Optimierung bei.

Besonders wertvoll ist, dass Zielkonflikte zwischen Baumaterial und Betriebsenergie quantifizierbar werden: Mehr Dämmung braucht zwar mehr Material, spart aber langfristig massiv CO2 und Energie ein. Zwar bewahrt uns das Gebäudeenergiegesetz derzeit vor den gröbsten Fehlern, doch im Gebäudebetrieb schlummert noch großes Einsparpotenzial – rund drei Viertel der gebäudebezogenen Emissionen entfallen laut BBSR auf diesen Bereich.  

Ein Gebäude wird viele Jahrzehnte stehen – wir sprechen bei Wohngebäuden von typischerweise 80 Jahren oder mehr – und sollte mit diesem Gedanken auch gebaut werden. Denn was bringt uns das minimalistischste Bauwerk, wenn es jahrzehntelang ein Energiefresser bleibt? Und genau hier schafft die Ökobilanz Klarheit.

Welche sind Ihrer Meinung nach die größten Hindernisse für die breite Anwendung der Ökobilanzierung?

Erstens sind aus Sicht von Architektinnen und Ingenieuren der Aufwand und die Komplexität einer LCA eine zentrale Hürde. Eine vollumfängliche Gebäude-LCA erfordert eine detaillierte Mengenermittlung, die Zuordnung passender Datensätze und die Berücksichtigung vieler Randbedingungen. Aber auch die Vorstellung, für jede Baugenehmigung noch weitere zusätzliche LCA-Nachweise erbringen zu müssen, löst bei vielen Planenden Unbehagen aus​.

Außerdem fehlt es zweitens noch an Vertrautheit und Routine, da die Methode bisher nicht im Planungsalltag verankert ist: Während Heizenergiebedarf oder U-Werte längst zum täglichen Handwerkszeug gehören, ist die Interpretation von z.B. kg CO2-Äquivalenten noch Lernstoff. Mittlerweile sind es 13 sogenannte Umweltwirkungs-Kernindikatoren bei einer klassischen Gebäude-LCA nach DIN EN 15804, darunter solche für Versauerung, Ozonabbau oder Wasserverbrauch – doch ein Konsens über deren Gewichtung untereinander fehlt. Für das Klima zählt vor allem das Treibhauspotenzial.  

Drittens ist die Normenlandschaft zur Ökobilanzierung ein kleines Regelgebirge – wissenschaftlich umfassend und wertvoll, aber in der Praxis schwer zu überqueren. Ein Grundproblem liegt in der uneinheitlichen Methodik, welche in wissenschaftlichen Veröffentlichungen und bei diversen Siegeln angewendet wird: Systemgrenzen, Phasen, Nutzungsdauern und Betrachtungszeiträume variieren – teils aus Datenmangel oder Aufwandserwägungen. Ein echter Vergleich ist kaum möglich. Wer LCA-Ergebnisse richtig interpretieren will, muss ihre Grundlagen genau kennen.

Und wie sieht es mit der Datengrundlage aus?

Das ist der vierte Punkt: Eine Ökobilanz ist eben nur so gut wie ihre Datengrundlage – und da haben wir derzeit gleich zwei Baustellen:

  1. Zwar bietet die ÖKOBAUDAT eine solide Basis, doch manche Produkte fehlen oder sind nur in spezifischer Ausführung vorhanden. Auch Nutzungsdauern sind oft unklar oder variieren je nach Quelle, was meist auf unterschiedliche Bestimmungsmethoden zurückzuführen ist. Planende müssen diese Lücken selbst schließen – was nicht immer einfach ist.
  2. Viele Daten hängen stark von Zukunftsannahmen ab. Die Herstellungsphase (A) lässt sich durch ihre zeitliche Nähe zur Datenerhebung noch recht zuverlässig bilanzieren – doch in den Phasen B (Nutzung), C (Rückbau) und D (Recycling) wird es zunehmend spekulativ: Wie oft wird ein Bauteil ersetzt? Welche Entsorgungswege gibt es in 40, 80 Jahren? Wird mein Fenster dann recycelt, downgecycelt oder einfach verbrannt?

Diese Fragen sind heute schwer belastbar zu beantworten. Aktuelle Berechnungen gehen oft von statischen Bedingungen aus – als bliebe über Jahrzehnte hinweg alles gleich. Doch Technik, Strommix und Materialkreisläufe entwickeln sich weiter und künftige Bauprodukte werden voraussichtlich klimafreundlicher sein. Wenn wir mit heutigen Werten weit in die Zukunft rechnen, rückt leicht das in den Fokus, was sich später vielleicht ohnehin verändert – und das, was wir heute konkret beeinflussen können, gerät aus dem Blick.

Denn die kommenden 20 bis 30 Jahre sind für den Klimaschutz entscheidend – in dieser Zeit nach der Fertigstellung verändert sich die Gebäudesubstanz sehr wenig, während die meisten Emissionen im Betrieb anfallen. Letztlich zählt von Anfang an jede eingesparte Kilowattstunde – egal wie grün der Strom einmal sein wird.

Wäre die vereinfachte Ökobilanz eine Alternative?

Ja, eine vereinfachte Ökobilanz kann eine sinnvolle und praxisgerechte Alternative sein – vorausgesetzt, sie ist methodisch fundiert, nachvollziehbar und auf das Wesentliche konzentriert.

Welche Vor- und Nachteile sehen Sie in einer vereinfachten Ökobilanzanalyse im Bauwesen?

Wenn LCAs künftig gefordert werden, bringt die Implementierung einer vereinfachten Ökobilanzmethode fast nur Vorteile. Der größte Pluspunkt liegt darin, dass Planende die Methode leicht anwenden und dadurch schneller zu besseren ökologischen Entscheidungen gelangen können – was die Akzeptanz steigert.

Ein möglicher Nachteil ist jedoch, dass durch die viele Nutzung generischer Daten und den vereinfachten Fokus auf die Lebenszyklusphasen A (Herstellung) und B (Nutzung) weniger Marktdruck auf die Hersteller entsteht, ihre spezifischen Produkte im Hinblick auf den Lebenszyklus zu verändern. Hier könnten beispielsweise spezielle Kennzeichnungen für Bauprodukte helfen. So könnten bei Fenstern Lebenszyklusdaten wie Herstellungs- und Betriebsenergie samt zugehöriger Emissionen unter definierten Randbedingungen berücksichtigt werden. Durch diese Sichtbarkeit dürften nachhaltige Kaufentscheidungen gefördert werden.

Unter welchen Bedingungen könnte eine vereinfachte Ökobilanzanalyse erfolgreich in Deutschland eingeführt werden?

Ich sehe es so: Ja, wir brauchen eine Lebenszyklusbetrachtung – aber wir sollten auch den Mut haben, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Inzwischen haben wir genügend Erfahrung gesammelt, um die großen Stellschrauben zu erkennen. Genau dort sollten wir ansetzen – pragmatisch, wirksam und ohne uns in Details zu verlieren.

Mit der vom Passivhaus Institut entwickelten vereinfachten Lebenszyklusbilanzierung würden viele Hürden bereits abgebaut werden: Die Methodik ist klarer, die Komplexität reduziert. Was jetzt noch fehlt, ist die Aufwandsreduktion und Integration in den Planungsalltag.

Wie könnte das gelingen?

Die Wirkung von Material und Betrieb sollte bei der Planung gemeinsam betrachtet werden – beides getrennt und zeitversetzt zu optimieren ist nicht sinnvoll. Bereits in frühen Planungsphasen lässt sich die Materialwahl grob gegen die Transmissionswärmeverluste am Standort abwägen, z.B. mithilfe des Bauteilvergleichstools MEETonline.

Wichtig ist, dass solche Werkzeuge reibungslos in bestehende Planungsprozesse eingebunden werden können, z.B. direkt im CAD-Programm oder über eine saubere IFC-Anbindung. Das spart Zeit und verhindert Doppelarbeit – solange die Eingabequalität stimmt.  

So arbeitet beispielsweise das weitaus umfangreichere Lebenszyklustool MEET des Passivhaus Instituts direkt mit dem PHPP zusammen – dem Passivhaus-Projektierungspaket, dem Werkzeug zur energetischen Gebäudeplanung insbesondere für Passivhäuser. Der große Vorteil: Im PHPP sieht man direkt, ob eine Maßnahme spürbar auf die Betriebsenergie wirkt oder nur Papier bewegt. MEET ergänzt diese Planung automatisch um eine Herstellungskomponente, ohne dass die Gebäudehülle doppelt eingegeben werden muss.

Und genau das ist der Schlüssel: Wenn Planende unmittelbar erkennen, welchen Einfluss ihre Entscheidungen haben, wird die Ökobilanz vom Pflichtprogramm zum echten Planungswerkzeug.

Nicht zuletzt sind politische Rahmenbedingungen entscheidend: Ökobilanzen müssen bürokratisch einfach gehalten werden, sodass Planende eigenständig damit arbeiten können. Darüber hinaus sollten Förderprogramme die anfallenden Mehrkosten verlässlich decken. 

  • Toolbox

    MEETonline Bauteilvergleich

    Das Tool ermöglicht die parellele Erstellung zweier Bauteilökobilanzen für zwei Bauteilaufbauten der Gebäudehülle und den einfachen Vergleich von Herstellungsenergiebedarf, Verbrauch im Nutzungszeitraum sowie CO2-Emissionen. Passivhaus Institut

  • Toolbox

    Manufacturing Energy Evaluation Tool (MEET)

    Mit dem Online-Tool können die potenziellen Energieaufwände und Treibhausgas-Emissionen, die während der Herstellung von Baumaterialien und -komponenten entstehen, bewertet und mit der Betriebsenergie eines Gebäudes verglichen werden. Passivhaus Institut

Wie sehen Sie die Zukunft der Ökobilanzierung im Bauwesen?

Die Ökobilanzierung wird in den kommenden Jahren von der freiwilligen Option zum verpflichtenden Planungsstandard werden. Die politischen Signale dafür sind deutlich: Gemäß der überarbeiteten EU-Gebäuderichtlinie muss ab 2030 für alle Neubauten das Lebenszyklus-Treibhauspotenzial ausgewiesen werden.

Parallel dazu wird auch die Datenbasis sich verbessern müssen. Die Zahl der Environmental Product Declarations (EPDs) nimmt zu, getrieben durch Marktnachfrage und Regelwerke. Vielleicht gelingt es ja sogar, eine EU-weite Baudatenbank zu etablieren.

Im Planungsverständnis hoffe und glaube ich an einen Kulturwandel. Lebenszyklusdenken wird selbstverständlicher werden.

Insgeheim hoffe ich auch darauf, dass sich BIM und der offene IFC-Standard endlich flächendeckend durchsetzen – bidirektional, inklusive strukturierter Angaben, die auch für die Ökobilanzierung nutzbar sind. Add-Ons könnten künftig live Betriebs- und Herstellungswerte anzeigen und so bei der Planung helfen. Das würde den Weg zu integrierten, modellbasierten Bewertungen ebnen. Perspektivisch könnte auch KI bei der Zuordnung von Umweltwirkungen unterstützen – etwa durch intelligente Vorschläge für passende EPDs auf Basis vorhandener Planungsdaten.

Doch bis dahin gilt: Zuerst braucht es eine fundierte Methodik, robuste Workflows, gute Tools – und Menschen, die wissen, was sie tun.

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