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Zirkuläres Bauen – oder das Wunder der Wiedergeburt

Stand: Dezember 2021
Foto, Dominik Campanella, Concular GmbH
Dominik Campanella

Bauen, nutzen, abreißen. Diese Abfolge kennzeichnet den gewöhnlichen Lebenszyklus von Gebäuden. Die Folgen sind erheblich: Rund 54 Prozent des deutschen Müllaufkommens entfallen auf den Bausektor. Zudem verursachen Bau und Betrieb von Gebäuden etwa 40 Prozent unserer CO2-Emissionen. Umdenken tut Not. Ein heiß diskutierter Ansatz lautet zirkuläres Bauen. Ein Gespräch mit Dominik Campanella, dem Gründer des preisgekrönten Start-ups Concular, über Karstadt am Hermannplatz in Berlin, Manufactum als Vorbild und seine Hoffnungen auf die Ampel.

Abriss und Rückbau ist Ihr Hauptthema. Ist das nicht etwas deprimierend?

Ganz im Gegenteil! Wir bauen Gebäude zurück, die fantastische Materialien und Produkte freisetzen. Was vielen womöglich alt und abrisswürdig erscheint, ist für meine Kolleginnen und Kollegen und mich Rohstoffquelle für Kommendes. Mögliche Materialflüsse zu erfassen, langlebige Materialien mit jahrzehntelanger Geschichte in Neues einzufügen und dabei auch noch genau zu dokumentieren, wie viele CO2-Emissionen durch diese zirkuläre Bauweise eingespart werden – das motiviert!

Das gilt vermutlich auch für Karstadt am Berliner Hermannplatz?

Unbedingt. Das altehrwürdige Kaufhaus aus den 1920er Jahren entspricht nicht mehr den heutigen Bedürfnissen und soll 2023 grundsaniert werden. Innerhalb von zwei Wochen      haben wir den Materialbestand von 40.000 Quadratmetern digitalisiert. Wir wissen jetzt      genau, welche Fassadenteile in welcher Bauweise, welche Fenster, Rolltreppen und statischen Elemente verbaut sind und künftig wiederverwendet werden können. Sämtliche Daten stehen nun den Architekten um David Chipperfield – die den Umbau planen und umsetzen – zur Verfügung. Das gemeinsame Ziel lautet, nach einer Zwischenlagerung so viel Material wie möglich wieder zu verwenden. Das ist schon ein absolutes Highlight, auch weil an der Universität Wuppertal mehrere Hundert Studierende im Rahmen des Urban Mining Student Awards mitplanen. Diese Zusammenarbeit ist ungemein inspirierend.

Warum ist das relevant?

Zirkuläre Ansätze haben drei große Vorteile: Erstens bieten sie die Option, nahezu klimaneutral zu bauen und damit rund 12 Prozent der globalen CO2-Emissionen einzusparen. Zweitens müssen wir keine Rohstoffe wie Sand oder Kies mehr abbauen und die Natur verwüsten. Und drittens schaffen wir dadurch regionale Wertschöpfungsketten, wenn die Marmorplatten nicht mehr aus Indien angeschafft werden, sondern aus hiesigen Bestandsgebäuden stammen.

Welche Materialien sind für das zirkuläre Bauen besonders wichtig?

Am interessantesten sind für uns Materialien, die einfach zurückgebaut und leicht wieder verwendet werden können und dabei auch noch wertvoll sind. Im Außenraum denke ich zum Beispiel an Naturstein-, Alu- oder auch Glasfassaden. Im Innenraum sind es die Systemtrennwände oder Doppelbodenplatten. Auch Stahlträger, Schüttgüter oder Beton sind hochinteressant. Leider erschwert uns das Zulassungsrecht an vielen Stellen das Leben.

Wo liegen die Hindernisse?

Im Kern gibt es drei große Problembereiche, die endlich gelöst werden müssen. Erstens das angesprochene Zulassungsrecht. Die Bauordnungen sind seit jeher auf neue Materialien ausgerichtet. Für Güter in der Zweitverwertung benötigen wir dringend vereinfachte Zulassungen. Zweitens müssen sich bei Baumaterialien auch die ökologischen Folgekosten in den Preisen widerspiegeln. Das im Rahmen der Besteuerung außer Acht zu lassen – wie es derzeit der Fall ist – ist nichts anderes als eine Subventionierung von Umweltschäden im großen Stil. Genau andersherum stellt sich die Situation bei wiederverwendeten Materialien dar: Sie sind zwar um ein Vielfaches umweltfreundlicher, unterliegen letztlich aber einer Art Doppelbesteuerung: Der Fiskus schlägt bei der Erst- und bei der Zweitverwertung zu. Hier brauchen wir differenzierte Mehrwertsteuersätze. Und drittens haben wir ein Imageproblem – siehe Ihre Eingangsfrage.

Wie kann das Imageproblem gelöst werden?

Das fängt bei der Sprache an. Wir müssen aufhören, negative behaftete Begriffe wie „gebraucht“ oder gar „Abfall“ zu nutzen. Positiv aufgeladen und vor allem inhaltlich korrekt sind Begriffe wie „wiedergewonnen“ oder „Rohstoff“. Wenn die Form der Verfügbarkeit folgen soll – und das ist unser Ziel – dann muss es den Planenden Freude bereiten, sich aus dem Bestand ein neues Gebäude “zusammenzustellen”. Dabei helfen uns Projekte wie die Mercedes-Benz-Arena mit ihren 1.400 Sitzschalen der Haupttribüne. Diese Materialien erzählen ihre eigene Geschichte und tragen sie mit der Wiedernutzung in eine neue Zeit. Diese Storys werten die Produkte ungemein auf. Manufactum und globale Luxusmarken haben das schon vor Jahrzehnten entdeckt und leben sehr gut davon. Das heißt natürlich auch, dass wir immer höchste Qualität bieten müssen. Deshalb arbeiten wir unter anderen mit dem TÜV Süd und Herstellern zusammen.

Von wem müssen die notwendigen Impulse ausgehen?

Zirkuläres Bauen bedeutet nicht weniger als eine Revolution. Daher gibt es nicht die eine Gruppe, auf die es ankommt. Architektinnen und Architekten, Immobilienkonzerne und Bauwirtschaft, Startups und Wissenschaft müssen sich gleichermaßen einbringen. Das gelingt beim Karstadt am Hermannplatz ganz gut, solche Projekte müssen Schule machen. Zudem spielt die Politik eine wichtige Rolle, um strukturelle Probleme zu lösen. Der Koalitionsvertrag der kommenden Bundesregierung ist ermutigend: Lebenszykluskosten und graue Energie sollen endlich genauer betrachtet werden. Die Einführung des digitalen Gebäuderessourcenpass ist angekündigt und die Zulassung innovativer Materialien soll erleichtert werden. Das sind ganz wichtige Maßnahmen, um das Wunder der Wiedergeburt im Bausektor anzuschieben.

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