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Mit Pilzen zum klimaneutralen Bauen!

Stand: November 2021
Foto, Professorin Vera Meyer

Pilze sind allgegenwärtig. Wir essen sie. Wir nutzen sie zur Herstellung von Käse, Bier und Brot. Wir stellen mit ihrer Hilfe lebenswichtige Medikamente her – und bauen aus ihnen demnächst unsere Häuser. Ein Gespräch mit der Biotechnologin Prof. Dr.-Ing. Vera Meyer, Fachgebietsleiterin Angewandte und Molekulare Mikrobiologie an der TU Berlin.

Warum beschäftigen Sie sich mit dem Thema Pilze als Baumaterial?

„Wenn wir weg vom Erdöl als Ressource wollen sowie weniger klima- und umweltschädlich produzieren möchten, brauchen wir nachhaltige Alternativen im Baubereich. Ganz konkret Alternativen zu Styropor, Beton, Gips und vielem mehr. Pilze bieten dafür faszinierende Möglichkeiten. Ein Aha-Erlebnis hatte ich Ende 2016, als ich begann, mich mit dem Zunderschwamm zu beschäftigen, um daraus Skulpturen zu formen. Der Zunderschwamm bildet seine Fruchtkörper beispielsweise an toten Birken, die bereits einen tollen Werkstoff darstellen: So stabil, dass man sich daraufstellen kann, ohne dass sie Schaden nehmen. Zugleich wasserabweisend und sehr leicht – was will man mehr?“

Was sind ökologisch gesehen die größten Vorteile von Pilzmaterial?

„Mit dem Zunderschwamm und Reststoffen aus der Agrar- und Forstwirtschaft stellen wir in einem biotechnologischen Verfahren ein Verbundmaterial her, welches biologisch komplett abbaubar ist. Am Lebensende der Pilzbaustoffe warten daher keine komplizierten und energieintensiven Recyclingverfahren, sondern der Komposthaufen. Zweitens könnten wir mit Pilzen klimaneutral bauen. Da land- und forstwirtschaftliche Reststoffe nicht mehr verbrannt oder entsorgt werden, bleibt das in ihnen gebundene CO2 weiterhin im Pilzverbund gespeichert. Am Ende könnte sich daher sogar eine negative Kohlenstoffbilanz ergeben.“

In welchen Segmenten sehen Sie das größte Potenzial – und in welchem Zeitraum?

„Da ist natürlich der ganze Bereich der Plaste und Elaste, also beispielsweise erdölbasierte Dämmstoffe. Da ist die Forschung schon ein großes Stück vorangekommen. Gleichzeitig muss man aber auch daran forschen, ob und wie man Pilzmaterialien für Bewehrungen nutzen kann, also als Alternative zu Stahl und Beton. Hier ist der Weg noch weit. Aber: Jeder weiß, dass wir als Gesellschaft unter Innovationsdruck stehen, wenn wir die Pariser Klimaziele halbwegs erreichen wollen. Wir müssen ab 2030 klimaneutral bauen! Deshalb erforschen und entwickeln wir gemeinsam mit Materialforscherinnen und Architekten, mit Biotechnologen und Nachhaltigkeitsforscherinnen entsprechende Lösungen auf Pilzbasis. Auch stehen wir im engen Austausch mit Partnern aus der Industrie und entwickeln erste Ideen für pilzbasierte Baustoffe.“

Was muss passieren, damit Pilze als Baumaterial ihren Durchbruch erzielen?

„Das muss man entsprechend den Akteuren differenzieren. Die Politik muss kurzfristig das Potenzial von Pilzen und anderen Mikroorganismen für eine zukünftige Kreislaufwirtschaft erkennen. Derzeit konzentrieren sich alle auf die Energiewende. Stichwort Wasserstoff, Wind- und Solarenergie, Elektroautos. Die Bioökonomie und konkret die Pilzbiotechnologie kommen in den Diskussionen viel zu kurz, brauchen aber im gleichen Maße Investitionen, um die notwendige Manpower in Wissenschaft und Wirtschaft zu fördern und den Schritt aus dem Labor in den Industriemaßstab zu gehen.

Mindestens ebenso wichtig ist allerdings die gesellschaftliche Akzeptanz. Wir schätzen Pilze auf dem Teller und wissen vielleicht, dass sie bei der Produktion von Arzneimitteln eine Rolle spielen – aber wollen wir quasi in ihnen wohnen? Das kann Irritation gar Widerstand hervorrufen, weshalb wir auch mit Partizipations- und Akzeptanzforscherinnen zusammenarbeiten. Wir müssen frühzeitig mit der Gesellschaft über Möglichkeiten der Pilzbiotechnologie diskutieren und sie in die Forschung mit einbinden, beispielsweise in sogenannten Citizen Science Projekten. Auch die Schnittstelle zur Kunst ist aus meiner Sicht enorm wichtig. Die Künste sind erprobt darin, neue wissenschaftliche und technologische Innovationen frühzeitig zu erkennen und in die Gesellschaft zu transportieren. Sie sind mit ihren Werken daher Sensor und Sprachrohr dieser Entwicklungen. Aus diesem Grunde betten wir in unsere wissenschaftliche Forschung auch künstlerische Aktivitäten mit ein und ermöglichen unter anderem Künstlerresidenzen.

Für mich ist daher die Triade aus Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft gefragt, das Pilzpotenzial gemeinsam auszuloten und weiterzuentwickeln. Es gibt viel zu tun. Jede und jeder, ganz gleich mit welcher Perspektive, ist willkommen mitzumachen! In solch verbindenden multidisziplinären Projekten haben wir wertvolle Erfahrungen in den letzten Jahren sammeln können. Klimaneutralität ist schaffbar, wenn die Kreativitätsmotoren Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft zusammen auf das Hier, Jetzt und Morgen schauen und gemeinsam das große Ganze erfassen und gestalten. Letztlich müssen wir mehr Wissen aufbauen, und zwar schnell. Deshalb publizieren wir grundsätzlich unsere Forschungsergebnisse in Open Access Journalen. Sie sind damit von jeder Person kostenfrei unter www.tu.berlin/mikrobiologie/ zugänglich – insbesondere rund um Pilze als unser Baumaterial der Zukunft!

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