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"Bei Biobeton ist Afrika der Innovationstreiber Nummer 1"

Stand: Mai 2022
Foto Wolfgang Schmidt, Bundesamt für Materialforschung und -prüfung (BAM)

Weltweit boomt die Bauwirtschaft – und damit der am meisten verwendete Baustoff Beton. Für das Klima eine immense Belastung. Wolfram Schmidt von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung gilt als Pionier des Biobetons und hat mit afrikanischen Partnerinnen und Partnern nachhaltige Zementalternativen erforscht. Was ist der Hintergrund und was muss sich in Deutschland ändern, damit Biobeton hierzulande den Durchbruch schafft? Antworten im Interview.

Herr Schmidt, was macht Beton zum Klimakiller?

„Verantwortlich für die hohen CO2-Emissionen im Baubereich ist vor allem die Zementherstellung: Bei dem Prozess wird Kalkstein bei etwa 1.450 Grad Celsius entsäuert. Dadurch entstehen erhebliche Mengen CO2. Außerdem wird viel Prozessenergie benötigt. Insgesamt ist Zement für rund 8 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Aber dabei darf man nicht vergessen, dass Beton viele Vorteile bietet. In der Verarbeitung ist er äußerst flexibel und Grundlage für einen großen Teil unserer Infrastruktur. Zudem sind die Rohstoffe für Beton auf fast jedem Flecken Erde vorhanden. Das hat dazu geführt, dass Beton das am meisten von Menschen verbrauchte Produkt nach Wasser ist.“

Könnten wir auf Beton verzichten?

„Das wäre mit anderen Problemen verbunden. Würden wir Beton beispielsweise durch Holz ersetzen, wäre unser Planet sehr schnell sehr kahl. Es gibt Potenzial, Beton durch andere Baustoffe zu ersetzen – aber es ist schlicht aufgrund der fehlenden Verfügbarkeit begrenzt.“

Foto, auf einem Tisch liegen aufgereiht verschiedene bio-basierte Materialien und bio-basierte Reststoffe, die im Betonbau einsetzbar sind. Im Hintergrund sind Muster-Vasen verschiedener Betonarten zu sehen.
Verschiedene bio-basierte Materialien und bio-basierte Reststoffe, die im Betonbau einsetzbar sind: Sisal, Cassava, Zuckerrohr und Kokosschale (von links nach rechts). Im Hintergrund sind Vasen aus Normalbeton (hellgrau) und Cassavabeton (bräunlich, es sind 50% Zement ausgetauscht) zu sehen.

Welche Möglichkeiten haben wir, Beton nachhaltiger zu machen?

„Ein Schlüssel liegt darin, den Klinkeranteil im Zement zu verringern. Das passiert in Europa insbesondere durch Hüttensande aus der Eisenerzproduktion und Flugasche aus der Steinkohleverbrennung. Doch diese Reststoffe sind nur eingeschränkt verfügbar, mit dem Kohleausstieg perspektivisch noch weniger.

Deshalb müssen wir uns umschauen. Beispiel Maniok, der in Afrika im großen Stil angebaut wird und deren Wurzel vielerorts ein Grundnahrungsmittel ist. Die Schale taugt allerdings nicht mal als Viehfutter, verrottet auf Halden und stellt ein riesiges Umweltproblem dar. Aber für die Betonherstellung lässt sie sich gleich mehrfach nutzen. So haben wir gemeinsam mit afrikanischen Forschern Verfahren entwickelt, um die Maniokschalen vollständig zu verwerten. In einem ersten Schritt gewinnen wir die Stärke. Als Zusatzmittel sorgt diese für bessere Verarbeitbarkeit und damit später für mehr Festigkeit und Haltbarkeit des Betons. Die Reste können verbrannt werden. Die gewonnene Energie kann unter anderem für das Brennen von Ziegeln genutzt werden. Und letztlich kann die Maniokasche als mineralisches Bindemittel dienen. Chemisch ist sie aufgrund ihres hohen Anteils an reaktivem Siliziumdioxid ein hervorragender nachhaltiger Zementersatz. Gleichzeitig werden durch die junge Betonindustrie neue lokale Wertschöpfungsketten geschaffen. Ein absoluter Gewinn für die Bauwirtschaft, das Klima und die Menschen!“

Gibt es bereits Gebäude aus dem von Ihnen entwickelten Biobeton?

„Auf dem Campus der Universität in Lagos in Nigeria haben wir ein Musterhaus gebaut. 25 Prozent des Zements konnten wir durch Maniokasche ersetzen – entsprechend konnten wir die CO2-Emissionen um etwa ein Viertel senken. In vielen Ländern des globalen Südens könnten wir damit einen enormen Hebel bedienen, und Maniok ist ja nur eine von vielen zukünftigen biobasierten Alternativen mit Potenzial.“

Haben landwirtschaftliche Reststoffe aus Deutschland ein ähnliches Potenzial?

„Wir haben mit Kartoffelschalen experimentiert – sie sind aber zu dünn. Und sie werden bereits als Tierfutter verwendet. Nutzungskonkurrenzen sollten wir vermeiden. Bei in Mitteleuropa wachsenden Pflanzen sehe ich das größte Potenzial in schnell wachsenden Gräsern wie Hanf oder Schilf. Daraus können wir auch organische Polymere gewinnen, die die Verarbeitungseigenschaften von Zement verbessern. Wir können ebenfalls durch Verbrennung Energie gewinnen und die Asche als Zementersatz nutzen. Allerdings ist die Ascheausbeute in der Regel geringer als zum Beispiel bei Maniok. Die großen Vorteile schnell wachsender Gräser: Sie entnehmen der Atmosphäre umgehend CO2. Und wenn wir als Zwischenschritt eine Pyrolyse durchführen, binden die Pflanzen im Wachstum mehr CO2 als sie bei der Verarbeitung ausstoßen.“

Wo liegen hierzulande Hindernisse, alternative Rohstoffe für Beton zu verwenden?

„Die Komplexität und langsame Anpassung der Normierung verhindert Innovationen. Aber es hat vor allem auch historische Gründe. Großbritannien, Frankreich und Deutschland haben die Betonstandards geprägt. Seit Jahrzehnten lautet das Mantra: Mehr Zement ist gut, denn dies wird als sicher und dauerhaft betrachtet. Aber so extrem hohe Festigkeiten werden nur ganz selten gebraucht, und wir können auch mit wenig Zement hohe Festigkeit und Dauerhaftigkeit erzielen. Hier muss endlich mehr Offenheit herrschen. Es widerspricht dem Stand der Forschung, in den Zementnormen die Rohstoffe festzuschreiben. Vielmehr benötigen wir Normen für chemische Prozesse, an deren Ende – unabhängig vom Rohstoff – verlässliches und sicheres Baumaterial steht. Dann könnten wir den regional klimafreundlichsten Zementersatz verwenden – ohne Qualitätsverlust. Auf internationaler Ebene gibt es Bewegung in dieser Frage: Ich bin unter anderem an der Initiative Global Consensus on Sustainability in the Built Environment (GLOBE) beteiligt und zuversichtlich, dass sich Wissenschaft, Politik und Bauwirtschaft in eine undogmatischere, stärker auf Forschung basierende Richtung bewegen.

Aber auch Architekten und Statiker müssen umdenken. Sie sollten nicht mehr ausschließlich auf ein Material, den Beton setzen. Die Lösung liegt vielmehr in einer hybriden Bauweise, die die Stärken und Schwächen der Baustoffe berücksichtigt. So könnten wir viel ressourcenschonender Bauen.“

Foto, eine Gruppe von jungen Menschen steht um einen auf dem Boden liegenden Holzrahmen, der mit Beton aus Bio-Materialien gefüllt ist.
Wolfram Schmidt mit einer Klasse der Offroad-School in der ghanaischen Hauptstadt Accra.

Ihre Prognose: Ab wann können Bauherren in Deutschland Biobeton einsetzen?

„Leider sind Veränderungen in statisch relevanten Baukomponenten nur sehr langsam möglich, weil die Regelwerke hier sehr konservativ sind. Die größte Hoffnung habe ich in Europa deshalb für den nichtstatischen Bereich. Zum Beispiel im Gartenbau, bei Pflastersteinen, Mörtel oder Putz. Ich erwarte, dass in deutlich weniger als zehn Jahren wesentlich klimafreundlichere Varianten zur Verfügung stehen. Afrika ist hier progressiver, und der Wille zu Innovationen stärker ausgeprägt und wirtschaftlich auch erforderlich. Wir können hierzulande viel von Afrika lernen.“

Biobeton-Pionier

Dr. Wolfram Schmidt will Beton als Baustoff nachhaltiger machen. Der promovierte Bauingenieur ist als Baustofftechnologe an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Berlin tätig. Für den mit afrikanischen Partnern entwickelten Biobeton wurde er vom Bundesforschungsministerium mit dem deutsch-afrikanischen Innovationspreis ausgezeichnet. Der Begriff Biobeton steht für verschiedene Verfahren, bei denen biobasierte Materialien als Ausgangsstoff für Betonkomponenten verwendet werden.

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