Die wachsende Relevanz der CO2-Reduktion im Bausektor ist eng mit den europäischen und nationalen Klimazielen verknüpft. Vor dem Hintergrund des EU Green Deal und der angestrebten Dekarbonisierung des Bauwesens gewinnen Ökobilanzanalysen (Life Cycle Assessment, LCA) zunehmend an Bedeutung und sind heute ein integraler Bestandteil moderner Gebäudezertifizierungssysteme.
Diese Analysen zielen darauf ab, die Umweltauswirkungen eines Gebäudes über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg zu erfassen und zu bewerten – von der Rohstoffgewinnung und Herstellung über die Bau- und Nutzungsphase bis hin zum Rückbau sowie zur Entsorgung oder Wiederverwendung der Materialien. Ziel ist es, fundierte Entscheidungsgrundlagen für eine ressourcenschonende und klimafreundliche Planung, Ausführung und Nutzung von Gebäuden zu schaffen.
Die EU hat in den letzten Jahren die Gebäuderichtlinie (Energy Performance of Buildings Directive, EPBD) mehrfach überarbeitet, um höhere Standards für die Energieeffizienz von Gebäuden durchzusetzen. Diese Richtlinie fordert, dass Gebäude nicht nur energieeffizient sein müssen, sondern auch ihre gesamte Umweltauswirkung während ihres Lebenszyklus bewertet werden. In Zukunft wird dies zu einer noch stärkeren Verankerung der Lebenszyklusanalyse (LCA) in der Gebäudeplanung und -bewertung führen.
In Deutschland ergänzt das Gebäudeenergiegesetz (GEG) diese europäischen Vorgaben und legt verbindliche Standards für den Energiebedarf von Gebäuden fest. Im weiteren Sinne trägt es auch zur Verbesserung der Umweltleistung bei, etwa durch die Förderung erneuerbarer Energien und die Reduktion von CO2-Emissionen. Es unterstützt die Ziele des deutschen Klimaschutzplans 2050, indem es die CO2-Emissionen im Bausektor weiter reduziert.
Ökobilanzierung (Life Cycle Assessment, LCA)
Für die vollständige Abbildung der Umweltwirkungen sowie Treibhausgasemissionen im Lebenszyklus von Gebäuden ist neben der Energiebedarfsberechnung eine ökobilanzielle Bewertung der Konstruktionen und Baustoffe erforderlich.
Die aktuelle Novelle der EU-Gebäuderichtlinie (EPBD) stellt Anforderungen an die Gesamteffizienz von Gebäuden und geht auf Solarinstallationen, Ladepunkte für Elektromobilität, Fahrradstellplätze, Gebäudeautomation u. v. m. ein.
Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) legt die energetischen Standards für Neubauten und für Bestandsbauten bei Sanierungen fest und regelt die Einsparung von Energie in Gebäuden.
LCA-Daten und Datenbanken sind von großer Bedeutung. Laut dem Fraunhofer IBP bieten sie in folgenden Bereichen einen wichtigen Mehrwert:
Produkt- und Prozessoptimierung: Unternehmen nutzen LCA-Daten zur Optimierung von Produkten und Produktionsprozessen, um Umweltwirkungen entlang des gesamten Lebenszyklus zu identifizieren und zu reduzieren.
Umweltbewertung: LCA-Daten ermöglichen umfassende Ökobilanzen von Produkten und Prozessen, die Rohstoffgewinnung, Produktion, Nutzung, Entsorgung und Recycling umfassen, um umweltfreundlichere Entscheidungen zu treffen.
Datengrundlage für Umweltstrategien: LCA-Datenbanken bieten eine Grundlage für Umweltstrategien auf Unternehmens-, Regierungs- und internationaler Ebene. Sie helfen bei der Erfüllung rechtlicher Vorgaben und unterstützen fundierte Entscheidungen.
Vergleichbarkeit und Transparenz: LCA-Datenbanken fördern die Vergleichbarkeit und Transparenz von Umweltinformationen, ermöglichen standardisierte Bewertungen und verbessern die Glaubwürdigkeit und Kommunikation zwischen Interessengruppen.
LCA-Datenbanken sind also entscheidend für die Bewertung von Produkten und deren Integration in den Entscheidungsprozess und spielen damit eine zentrale Rolle, um nachhaltigere Lösungen zu entwickeln und umzusetzen.
Bestandteile von Ökobilanzdatenbanken und ihre Beziehung zur EPDs
Eine Ökobilanzdatenbank bietet Informationen über die Umweltauswirkungen von Materialien, Prozessen und Dienstleistungen über deren gesamten Lebenszyklus hinweg. Diese Daten umfassen Parameter wie den Energieverbrauch, die Treibhausgasemissionen, den Wasserverbrauch, die Ressourcengewinnung und das Abfallaufkommen. Die erfassten Informationen bilden die Grundlage für die Erstellung einer LCA, mit der die Umweltwirkungen eines Produkts oder einer Dienstleistung über den gesamten Lebenszyklus hinweg systematisch bewertet werden.
Ein wichtiger Bestandteil von Ökobilanzdatenbanken sind die Umweltproduktdeklarationen (Environmental Product Declarations, EPDs). EPDs sind standardisierte Dokumente, die auf Grundlage internationaler Normen – insbesondere DIN EN ISO 14025 – quantifizierte Umweltinformationen über den gesamten Lebenszyklus eines Bauprodukts oder Baustoffs bereitstellen. Sie sind in Ökobilanzdatenbanken integriert und liefern spezifische Daten zu den Umweltauswirkungen von Bauprodukten, die in der Gebäudebewertung verwendet werden können. Die Qualität und Genauigkeit der Ökobilanzanalyse hängt dabei stark von der Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit der in den EPDs enthaltenen Daten ab.
Environmental Product Declarations (EPDs)
Umweltproduktdeklarationen sind standardisierte Datensätze, die Informationen zu verwendeten Baustoffen und Produkten bereitstellen. Das ermöglicht eine Bewertung des ökologischen Fußabdrucks über den gesamten Gebäudelebenszyklus.
Datenbanken für die Erstellung und Berechnung von Ökobilanzen
Für die Erstellung und Berechnung von LCAs im Bausektor stehen in Deutschland und im deutschsprachigen Raum mehrere Ökobilanzdatenbanken zur Verfügung. Einige davon sind offiziell anerkannt, andere bieten ergänzende Datensätze, die insbesondere für spezifische Anwendungsfälle von Bedeutung sind. Diese Datenbanken sind in gängige Ökobilanzierungssoftware eingebunden und ermöglichen eine konsistente und normgerechte Bewertung der Umweltwirkungen von Bauprodukten und Baustoffen. Für das Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude (QNG) ist zudem eine Excel-Datei verfügbar, die eine spezifische Auswahl zugelassener Datensätze definiert, welche bei der LCA verwendet werden dürfen.
Die folgende Auflistung bietet einen Überblick über die Datenbanken und ihre Einordnung in offizielle und alternative Systeme:
Typ:
Offiziell
Beschreibung:
Die ÖKOBAUDAT ist die offizielle Datenbank des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB). Sie bietet geprüfte und standardisierte Daten zu Bauprodukten.
Anwendung:
Verwendung für Ökobilanzen im Rahmen des DGNB-Zertifikats und andere Nachhaltigkeitszertifikate.
Verbindliche Referenz für staatlich geförderte Bauprojekte.
Entwickelt von Sphera. GaBi ist eine der weltweit am häufigsten genutzten Ökobilanzdatenbanken. Sie bietet umfangreiche Datensätze, die auf wissenschaftlicher Forschung und industriellen Anwendungen basieren.
Anwendung:
Anerkannte Ressource für Ökobilanzen, besonders in Projekten, die internationale Standards und Zertifizierungen einhalten müssen.
Eine umfassende und weit verbreitete LCA-Datenbank mit einer breiten Palette von Daten, die weltweit genutzt werden.
Anwendung:
Häufig in Forschungsprojekten und von Unternehmen verwendet, die detaillierte Ökobilanzen erstellen müssen, insbesondere bei speziellen oder internationalen Anforderungen.
Gebäudezertifizierungssysteme in Deutschland mit LCA-Anforderungen
In Deutschland gibt es mehrere anerkannte Gebäudezertifizierungssysteme, die die Durchführung von Ökobilanzanalysen (LCA) als Teil des Zertifizierungsprozesses vorschreiben. Diese Systeme lassen sich in verpflichtende und freiwillige Kategorien unterteilen und berücksichtigen verschiedene Gebäudetypen (Wohngebäude und Nichtwohngebäude) sowie Neubauten und Gebäudesanierungen.
Verpflichtende Systeme
Anerkannt durch das Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude (QNG):
Wohngebäude: DGNB, BiRN, NaWoh, LNB_QNG
Nichtwohngebäude: DGNB, BNB, LNB_QNG
Weitere verpflichtende Systeme:
KfW (Förderung von energieeffizienten Neubauten und Sanierungen, teilweise mit LCA-Anforderungen)
BNB (für öffentliche Nichtwohngebäude, verpflichtet zur LCA-Bewertung)
Erläuterung:
Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) verlangt für eine Zertifizierung eine umfassende Ökobilanz, um die Umweltwirkungen eines Gebäudes über den gesamten Lebenszyklus zu bewerten.
Das Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) ist ein verpflichtendes System für Bundesbauten in Deutschland und erfordert die Durchführung von LCA-Analysen, um die Nachhaltigkeit von Nichtwohngebäuden zu bewerten.
Das Bau-Institut für Ressourceneffizientes und Nachhaltiges Bauen (BiRN) bietet das BNK/BNG-Zertifikat an. Das Zertifikat ist ein Bewertungssystem, das die Nachhaltigkeit von Wohngebäuden anhand verschiedener Kriterien beurteilt. Es berücksichtigt Aspekte wie Schallschutz, Innenraumlufthygiene und Barrierefreiheit.
Anwendung:
Bewertung und Zertifizierung der Nachhaltigkeit von Wohngebäuden. Das Zertifikat dient als Nachweis für die Erfüllung bestimmter Qualitätsstandards im Bauwesen.
Der LNB_QNG-Leitfaden ergänzt den bestehenden LNB und bildet alle Anforderungen an QNG-Bewertungssysteme ab. Er wurde von der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS) als anerkanntes Bewertungssystem registriert.
Anwendung:
Mit dem LNB_QNG können öffentliche Auftraggeber gemäß § 98 GWB Wohn- und Nichtwohngebäude sowohl im Neubau als auch bei Komplettmodernisierungen bewerten. Eine positive Zertifizierung durch eine externe Zertifizierungsstelle bildet die Grundlage für die Erlangung von Fördermitteln im Rahmen des KfW-Programms "Klimafreundlicher Neubau - Kommunen" mit QNG sowie für die Erlangung der Nachhaltigkeitsklasse bei Komplettmodernisierungen zum Effizienzgebäude
Das NaWoh-System (Qualitätssiegel Nachhaltiger Wohnungsbau) dient der Bewertung und Sicherstellung der Nachhaltigkeit im Wohnungsbau in Deutschland. Es ermöglicht Bauherren, die Qualität und Nachhaltigkeit neu errichteter Wohngebäude zu dokumentieren und sichtbar zu machen.
Erläuterung:
Das NaWoh-System bewertet Wohngebäude anhand verschiedener Kriterien, die ökologische, ökonomische, soziokulturelle und prozessuale Aspekte berücksichtigen. Es wurde entwickelt, um nachhaltige Baupraktiken zu fördern und die Transparenz sowie Nachvollziehbarkeit von Bauprojekten zu erhöhen.
Anwendung:
Das System kann von Bauherren und Planern genutzt werden, um die Nachhaltigkeitsaspekte bei der Planung und Ausführung von Wohnungsbauten zu strukturieren und auf wichtige Grundlagen zu verweisen. Es dient als Leitfaden zur Qualitätssicherung und unterstützt bei der Realisierung umweltfreundlicher und zukunftsfähiger Wohngebäude.
Für den Zugang zu bestimmten staatlichen Fördermitteln in Deutschland, insbesondere bei Energieeffizienzmaßnahmen, ist eine Zertifizierung als KfW-Effizienzhaus notwendig. Hierbei ist die Durchführung einer LCA für bestimmte Effizienzhaus-Stufen verpflichtend.
Anwendung:
Verpflichtend für den Zugang zu staatlichen Fördermitteln
Internationale Systeme, in Deutschland umgesetzt (freiwillig):
BREEAM (international anerkannt, mit LCA-Integration zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Neubauten und Bestandsgebäuden)
LEED (weltweit verbreitet, berücksichtigt Lebenszyklusemissionen als Teil der Bewertung)
Passivhauszertifizierung (zielt auf besonders energieeffiziente Gebäude ab, LCA als ergänzendes Kriterium)
Erläuterung:
Das BREEAM-System ist international anerkannt und wird in Deutschland freiwillig angewendet. Es erfordert eine LCA, um eine ganzheitliche Umweltbewertung durchzuführen.
Das LEED-System ist international anerkannt und wird in Deutschland freiwillig angewendet. Es erfordert eine LCA, um eine ganzheitliche Umweltbewertung durchzuführen.
Obwohl sich die Passivhauszertifizierung primär auf die Energieeffizienz fokussiert, kann auch eine LCA integriert werden, um die ganzheitliche Umweltwirkung des Gebäudes zu beurteilen.
Die Zuordnung dieser Zertifizierungssysteme berücksichtigt die jeweiligen Anforderungen an die Lebenszyklusbewertung und deren Relevanz im deutschen Markt. Während verpflichtende Systeme vor allem im Rahmen staatlicher Förderung und öffentlicher Gebäude zur Anwendung kommen, bieten internationale Systeme flexible, freiwillige Zertifizierungen für unterschiedliche Gebäudetypen und -anwendungen.
Die Integration von LCA in Gebäudezertifizierungssysteme in Deutschland unterstreicht die wachsende Relevanz einer ganzheitlichen Bewertung der Umweltwirkungen von Gebäuden. Sowohl verpflichtende als auch freiwillige Zertifizierungssysteme unterstützen die Erreichung der nationalen und europäischen Klimaziele, indem sie den gesamten Lebenszyklus von Gebäuden berücksichtigen. Unterschiede Anforderungen je nach Gebäudetyp (Wohn- vs. Nichtwohngebäude) und Maßnahme (Neubau vs. Sanierung) zeigen die Komplexität der LCA-Anwendung im Bauwesen.
LCA-Vergleich Neubau-Sanierung
Die Lebenszyklusanalyse von Sanierungen zeigt klare Vorteile für Klima und Ressourcen im Vergleich zum Neubau. Das gilt auch bei ambitionierten Effizienzstandards.
Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung e.V. – Forschungsbereich Gebaute Umwelt - Ressourcen und Umweltrisiken
Das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) ist eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung und Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Unsere Forschung zielt darauf ab, tiefgreifende und…
Auf IBU.data werden ökobilanzbasierte Daten aus den Umwelt-Produktdeklarationen (EPDs- Environmental Product Declarations) von Bauprodukten in digitaler Form als XML-Dateien auf Basis des ILCD-Formates zum Download angeboten.
Institut Bauen und Umwelt e.V.
Institut Bauen und Umwelt e.V.
Mit über 350 Unternehmen und Verbänden ist das IBU der größte Zusammenschluss von Herstellern der Baustoffindustrie, der sich für nachhaltiges und ressourceneffizientes Bauen stark macht.
Integration der Lebenszyklusbetrachtung in die Gesetzgebung
Die Lebenszyklusbetrachtung (LCA) oder Ökobilanz spielt eine wesentliche Rolle bei der nachhaltigen Entwicklung des Gebäudesektors. Sie wird auch in der europäischen Gesetzgebung berücksichtigt und ist in der deutschen Rechtsordnung von Bedeutung.
Zertifizierungssysteme stellen ein belastbares Werkzeug dar, um nachhaltige Bauprojekte durch quantifizierbare Kriterienkataloge zu bewerten, zu fördern und um unterschiedliche Vorhaben miteinander zu vergleichen.
Für den Neubau oder die energetische Sanierung von Wohn- und Nichtwohngebäuden stehen, je nach geplanter Maßnahme, Förderungen in Form von Zuschüssen oder Krediten zur Verfügung.