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„Bauen heißt Vertrauen“

Stand: Dezember 2025
Foto, Andrea Gebhard

Innovative Bauweisen brauchen Eigenverantwortung – und gegenseitiges Vertrauen. 

Im Gespräch mit Bundesarchitektenkammer-Präsidentin Andrea Gebhard über die Grenzen starrer Normen, den Gebäudetyp E als Zukunftsansatz und die Schönheit langlebiger Gebäude.

Frau Gebhard, wie muss Architektur in Zukunft aussehen?

Als Stadtplanerin und Landschaftsarchitektin sage ich klar: Architektur beginnt nicht beim einzelnen Gebäude, sondern entsteht immer im Zusammenhang mit dem Quartier. Zukunftsfähiges Planen heißt deshalb ganzheitliches Planen. Drei Punkte sind mir wichtig: Erstens müssen wir Orte schaffen, an denen echtes Miteinander möglich ist – Räume, die Begegnungen schaffen, sei es durch eine geteilte Waschküche, Aufenthaltsbereiche auf Laubengängen oder ein gemeinsames Gartenprojekt im Innenhof. Zweitens schreitet der Klimawandel bei allen Bemühungen voran. Gebäude müssen zukünftig so geplant sein, dass sie negative Klimaeinflüsse abmildern – etwa durch Grünflächen, in denen Wasser versickert, oder durch Elemente, die verschatten und kühlen. Und drittens geht es um Langlebigkeit und, ganz schlicht, um Schönheit. Ich sitze hier gerade in einem alten Gebäude in Paris. Das ist zauberhaft! Die knarzenden Böden, diese alte Baustruktur, der besondere Charakter. Solche Qualitäten werden beim zeitgenössischen Bauen viel zu oft vergessen.

Welche Rolle spielt zirkuläres Bauen dabei?

Zirkuläres Bauen ist wichtig und umfasst – anders als oft angenommen – weit mehr als den Einsatz wiederaufbereiteter Materialien oder den korrekten Rückbau. Das Vorausdenken muss immer Zentrum stehen. Der Abriss hingegen bleibt die Ultima Ratio. Denn: Die größten Effekte erzielen wir dann, wenn wir Ressourcen schonen und dafür Sorge tragen, dass Gebäude langfristig nutzbar bleiben. Gute Architektur zeichnet sich dabei durch Ideenreichtum aus und findet Lösungen. Wenn ich heute ein Wohnhaus baue, sollte es so geplant sein, dass es sich auch in 50 Jahren mit geringem Aufwand weiter- oder umnutzen lässt. Ein typisches Szenario: Jemand lebt inzwischen allein in einer ehemals größeren Familienwohnung und fände es schön, wenn noch andere Menschen um sich wohnen zu haben. Flexible Raumzuschnitte – also keine extrem kleinen oder extrem großen Räume – erleichtern solche Modelle und verlängern die Lebensdauer eines Gebäudes.

Wie gelingt das im Bestand?

Viele Gebäude der Vorkriegszeit bringen robuste Grundstrukturen mit – großzügige Geschosshöhen, tragende Wände an den richtigen Stellen und relativ gleich große Räume. Solche Gebäude lassen sich deshalb gut weiterentwickeln und neuen Wohn- oder Arbeitsformen anpassen. Herausfordernder wird es bei späteren Baualtersklassen, in denen die Grundrisse sehr kleinteilig und funktional stark vorgegeben sind. Dort braucht es manchmal Zusammenlegungen oder andere bauliche Eingriffe, um wieder flexible Nutzungsmöglichkeiten zu schaffen. Aber auch andere Nutzungsideen wie neuer Wohnraum in leerstehenden Bürogebäuden und Gemeinschaftsmodelle wie zum Beispiel Beginenhöfe können Lösungen sein. Im Bestand ist entscheidend, vorhandene Trag- und Raumstrukturen so weit wie möglich zu nutzen, bevor in neue Bauteile eingegriffen wird. Je geringer der Eingriff, desto größer der Ressourcenvorteil.

Was ist die größte Hürde bei der Wiederverwendung alter Bauteile?

Ein Aspekt ist das Abfallrecht: Sobald Materialien eine Baustelle verlassen, gelten sie rechtlich als Abfall – auch dann, wenn sie technisch problemlos wiederverwendet werden könnten. Das macht viele Abläufe unnötig kompliziert. Die eigentlichen Schwierigkeiten entstehen jedoch erst an anderer Stelle: Viele technische Normen sehen die Wiederverwendung von Bauteilen bislang kaum vor. Uns fehlt eine verlässliche Infrastruktur für den selektiven Rückbau und für Materialbörsen, die Bauteile wirklich in den Kreislauf zurückbringen könnten. Auch die Haftungsfragen sind oft unklar, und wirtschaftlich wird der Neubau häufig stärker begünstigt als der Umbau. Zudem fehlen verbindliche Vorgaben, wie kreislauffähiges Bauen konkret aussehen soll – etwa in Richtung sortenreiner Rückbaubarkeit oder eines „Design for Disassembly“.

Was hilft, zirkuläres Bauen  dennoch voranzubringen?

Wichtig ist mir zunächst, dass wir Wiederverwendung und Wiederverwertung sauber unterscheiden: Bauteile, die direkt wieder eingebaut werden können, sind etwas völlig anderes als Materialien, die erst recycelt werden müssen. In der Logik der Kreislaufwirtschaft ist Recycling die letzte Stufe – davor sollten wir versuchen, möglichst viele Bauteile im Nutzungskreislauf zu halten. Und am Ende braucht es Klarheit und Verantwortungsbewusstsein bei allen Beteiligten. Bauherrinnen und Bauherren müssen den Einsatz gebrauchter Bauteile mittragen, und wir Planenden müssen sorgfältig prüfen, welche Materialien sich eignen und wie wir sie sicher einsetzen können. „Bauen heißt Vertrauen“ – und beim zirkulären Bauen gilt das ganz besonders.

Gibt es Länder, von denen man sich beim zirkulären Bauen etwas abschauen kann?

Es gibt einige Länder, die beim zirkulären Bauen wichtige Impulse setzen. Besonders weit sind die Niederlande – dort gibt es eine nationale Strategie für zirkuläres Bauen, digitale Materialpässe und gut etablierte Märkte für wiederverwendbare Bauteile. Belgien wiederum ist stark im selektiven Rückbau und verfügt mit Initiativen wie Rotor über eine europaweit einzigartige Praxis für das professionelle Gewinnen und Aufarbeiten von Bauteilen. Die Schweiz zeigt vor allem, wie praxisnahe Normen entstehen können: Dort sind die Berufsverbände viel stärker eingebunden. Das ermöglicht auch Regelwerke, die Wiederverwendung nicht unnötig erschweren. Für mich ist entscheidend: Es gibt nicht das eine Vorbild. Aber jedes dieser Länder hat Bausteine entwickelt, die zeigen, wie zirkuläres Bauen selbstverständlich werden kann.

Wie kann der Gebäudetyp E helfen, nachhaltiger und zugleich kostengünstiger zu bauen?

Die Diskussion um den Gebäudetyp E – das „E“ steht für „einfach“ – hat das Ziel, sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können: Sicherheit, Gebrauchstauglichkeit, sinnvolle technische Ausstattung. Statt jede Norm unhinterfragt umzusetzen, müssen Abweichungen wieder rechtssicher möglich sein – sofern Bauherren und Planende diese gemeinsam vereinbaren. Das schafft Freiräume für einfache, robuste Lösungen. Gleichzeitig reduziert es Kosten und Planungsaufwand. Wichtig ist aber: Auch hier braucht es qualifizierte Planung und verantwortungsbewusste Entscheidungen.

Birgt das auch Risiken?

Die Frage ist doch, was ein Risiko ist. Wer alles hundertprozentig machen will, macht irgendwann gar nichts mehr. Und viele Normen gehen leider tatsächlich an der Praxis vorbei und verursachen zusätzliche Arbeit. Ich kann aus eigener Erfahrung berichten: Wir haben ein Gebäude mit einer sehr flachen Schwelle zwischen Wohnraum und Terrasse geplant, mit leichtem Gefälle nach außen. Das war mit dem Bauherrn so vereinbart. Die DIN-Norm sieht jedoch eine Schwellenhöhe von 15 Zentimeter vor. Jetzt verklagt uns der neue Nutzer, obwohl nie ein Wasserschaden aufgetreten ist. Es geht allein darum, dass die Norm nicht eingehalten wurde – ein “Mangel ohne Schaden“. Das bringt uns zu einem Dilemma: Viele Normen müssten Planende eigentlich jetzt schon gar nicht einhalten. Aber aufgrund solcher Klagen gehen viele auf Nummer sicher und halten lieber eine Norm zu viel ein als eine zu wenig.

Wie lässt sich Nachhaltigkeit in der Planung besser verankern – etwa durch Ökobilanzierung?

Die Ökobilanzierung ist ein wichtiges Steuerungsinstrument. Aber nur, wenn sie so angewendet wird, dass sie die Planung wirklich unterstützt. Es bringt wenig, wenn wir jeden Dübel bilanzieren, aber das große Ganze übersehen: Konstruktion, Materialwahl und die grundlegenden baulichen Systeme. Außerdem: Rund 80 bis 90 Prozent der späteren Emissionen werden in diesen frühen Leistungsphasen festgelegt. Deshalb ist es wichtig, die Ökobilanzierung frühzeitig in den Entwurfsprozess zu integrieren – und eben nicht nur als abschließenden Pflichtnachweis. Mit dem Bundesregister Nachhaltigkeit (BRNH) haben wir zudem eine Struktur geschaffen, die Qualifikationen der Fachleute sichtbar macht. Das schafft Transparenz und Vertrauen und gibt Bauherrenschaften wie Behörden die Sicherheit, dass Lebenszyklusanalysen fachlich fundiert angewendet werden.

Wenn all das berücksichtigt wird – wird Bauen dann nicht zwangsläufig teurer?

Nachhaltigkeit macht das Bauen nicht automatisch teurer. Was wir erleben, ist vor allem eine gestiegene Komplexität der Aufgaben: Klimaschutz, Materialwahl, Umbaufähigkeit, Lebenszyklusdenken. All das verlangt eine gründliche, durchdachte Planung. Gute Planung kostet Zeit und Geld – aber sie spart über den Lebenszyklus ein Vielfaches ein. Das heißt: Es muss schon früh entschieden werden, welche Konstruktion, welche Materialien und welches System wirklich sinnvoll sind. Dann lassen sich Baukosten, Betriebskosten und spätere Rückbaukosten deutlich senken. Teuer wird das Bauen vor allem dort, wo Prozesse schlecht aufeinander abgestimmt sind, wo Genehmigungen lange dauern oder wo Grundstückspreise und Finanzierungsbedingungen steigen. Das hat wenig mit Nachhaltigkeit zu tun. Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit gehören zusammen – und qualifizierte Planung ist das Bindeglied.

Ein letzter Blick nach vorn: Was macht Ihnen Mut in diesen bewegten Zeiten?

Natürlich sind die Zeiten schwierig, aber es gibt enorm viel Wissen. Als Planerin denkt man automatisch in die Zukunft. Mir macht es großen Spaß, schwierige Bauaufgaben zu bearbeiten und Wege zu finden, wie etwas funktionieren kann. Unsere Ausbildung ist darauf ausgelegt, verschiedene Faktoren zusammenzuführen und daraus etwas Neues zu entwickeln. Außerdem begeistert mich die Innovationskraft in Planung und Handwerk – gerade im Mittelstand. Es gibt beispielsweise Stahlträger im Mietmodell oder neue Materialbörsen, die zunehmend entstehen. Und unsere Mitglieder sind insgesamt sehr gut darin, vor Ort gute und innovative Lösungen zu finden – vor allem dann, wenn die Auftraggebenden mit Ihnen an einem Strang ziehen. Gerade genossenschaftliche und gemeinschaftliche Bauprojekte sind oft wagemutiger als Bauträger. Da liegt viel Potenzial. Großartig! Es gibt so viele gute Ideen, so viel Wissen, so viele engagierte Menschen. Wenn wir diese Kräfte zusammenbringen, können wir viel erreichen.
 

Über Andrea Gebhard

Die Stadtplanerin und Landschaftsarchitektin Andrea Gebhardt ist seit 2021 Präsidentin der Bundesarchitektenkammer.

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Die Bundesarchitektenkammer e.V. (BAK) vertritt auf nationaler und internationaler Ebene die Interessen von ca. 140.000 Architektinnen, Landschaftsarchitekten, Stadtplanerinnen und Innenarchitekten gegenüber Politik und Öffentlichkeit. Die Mitglieder der Bundesarchitektenkammer sind die 16 Länderarchitektenkammern (LAK).

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