Projekt
Im südlich von Freiburg gelegenen Schallstadt ist es gelungen, die kommunale Wärmewende auf Quartiersebene neu zu denken: Seit 2021 versorgt ein kaltes Nahwärmenetz 83 Wohneinheiten, vier Gewerbeeinheiten und das Rathaus im Neubaugebiet Weiermatten mit erneuerbarer Energie. Die Wärmequelle liegt nur wenige hundert Meter entfernt: Ein Abwasserkanal mit konstant hoher Temperatur liefert Anergie – also thermische Energie auf niedrigem Temperaturniveau, die über Wärmepumpen effizient genutzt werden kann.
Das Projekt verbindet zwei bislang selten kombinierte Technologien: die Nutzung von Abwasserwärme und ein kaltes Nahwärmenetz. Für Baden-Württemberg hat es damit Pilotcharakter. Ergänzt wird das Konzept durch eine Stromerzeugung mittels umfassender Photovoltaik, ein attraktives Mieterstrommodell sowie ein zukunftsfähiges Mobilitätsangebot mit großzügig verfügbarer Ladeinfrastruktur.
- Quartier
Bautafel:
Standort
Schallstadt (Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald), Baden-Württemberg
Projektzeitraum
Planung ab 2019, Inbetriebnahme des Netzes 2021
Erschlossene Einheiten
83 Wohneinheiten mit ca. 200 Bewohnenden
vier Gewerbeeinheiten á 100 m²
Wärmequelle
• Abwasser aus einem Sammelkanal des Abwasserzweckverbands Breisgauer Bucht:
• Ø 90 cm, Trockenwetterabfluss ca. 22–23 l/s, mittlere Temperatur ca. 15 °C
Systemtechnik
• 2,2 km kaltes Nahwärmenetz
• 2 Wärmetauscher (400 kW)
• 2 Sole-Wärmepumpen à 200 kW
• Pufferspeicher (500 m³)
• Automatisiertes Reinigungssystem für Wärmetauscher
Energetische Kennzahlen
• Wärmeerzeugung: ca. 900.000 kWh/Jahr
• CO₂-Minderung: rund 325 t/Jahr
• Strombedarf gedeckt aus PV und Wasserkraft
• 450 kWp PV-Anlage als Indach- und Fassadenlösung
• Stromspeicher im Gebäude
Herausforderungen
Die Gemeinde Schallstadt stand vor der Aufgabe, für ein neues Quartier mit 83 Wohneinheiten sowie das neue Rathaus eine zukunftsfähige Wärmeversorgung zu entwickeln: CO₂-arm, wirtschaftlich und dauerhaft betriebssicher. Dabei galt es, zentrale Anforderungen zu erfüllen:
Erstens: Der Wärmeerzeugungsansatz musste ohne fossile oder biogene Brennstoffe auskommen – sowohl aus Klimaschutzgründen als auch zur langfristigen Entkopplung von Preisvolatilitäten.
Zweitens: Aufgrund der städtebaulichen Dichte und der Neubausituation war ein niedriges Temperaturniveau gewünscht, um moderne Flächenheizsysteme effizient betreiben und ungedämmte Rohrleitungen verlegen zu können.
Drittens: Die Wärmequelle sollte dauerhaft verfügbar, lokal erschließbar und gleichzeitig unabhängig von saisonalen Schwankungen sein.
Viertens: Auf Seiten der Stromversorgung galt es, ein lokales System zu entwickeln, das sowohl Mieterstrom als auch Elektromobilität abbilden konnte.
Hinzu kamen technische Rahmenbedingungen: Die Nutzung des nahegelegenen Abwasserkanals als Quelle thermischer Energie war grundsätzlich möglich, jedoch war der Kanal im Eigentum eines interkommunalen Zweckverbands: bauliche Eingriffe waren daher nicht gestattet. Die Wärme musste über ein Bypass-System ohne strukturelle Eingriffe gewonnen werden.
Ziele & Erfolge
Die Projektumsetzung in Schallstadt erfolgte entlang eines klar strukturierten, integralen Ansatzes. Im Zentrum stand die Erschließung der bislang ungenutzten thermischen Energie des kommunalen Abwassers. Der benachbarte Kanal mit rund 23 Litern Trockenwetterabfluss pro Sekunde wurde über einen Bypass angeschlossen, ohne bauliche Eingriffe in das Leitungssystem. Das bereitgestellte Abwasser weist auch im Winter stabile Temperaturen zwischen 10 und 12 °C auf – ideale Bedingungen für die Anergiegewinnung.
Im Vergleich zu klassischen Fernwärmenetzen arbeitet das System mit deutlich geringeren Vorlauftemperaturen, wodurch Leitungsverluste minimiert werden. Zugleich ermöglicht das Niedertemperaturniveau im Sommer eine passive Kühlung über die Fußbodenheizungen der Gebäude – ein Vorteil angesichts häufiger Hitzeperioden.
In einem Primärkreislauf wird das Abwasser in die Energiezentrale am neuen Rathaus gefördert. Dort durchströmt es zwei Edelstahl-Wärmeübertrager mit einer Gesamtleistung von 400 kW. Die thermische Energie wird auf einen sekundären Wasserkreislauf übertragen, der in das 2,2 Kilometer lange kalte Nahwärmenetz eingespeist wird. Dieses versorgt die angeschlossenen Gebäude dezentral. Dort heben zwei zentrale Sole-Wärmepumpen mit je 200 kW Leistung das Temperaturniveau an: für Raumwärme, Warmwasser und Kühlung. Ein automatisiertes Hygienesystem reinigt die Wärmetauscher täglich. Ein 500 m³ großer unterirdischer Pufferspeicher dient zur Zwischenspeicherung überschüssiger Wärme – etwa aus der passiven Kühlung im Sommer – und verbessert die Netzauslastung.
Parallel zur Wärmeversorgung wurde eine vollständig erneuerbare Stromversorgung aufgebaut. Die 450 kWp starke Photovoltaikanlage erstreckt sich über Dächer, Balkonbrüstungen und die Tiefgaragenüberdachung. Sie versorgt die Plusenergie-Klimahäuser weitgehend autark – ergänzt durch einen Stromspeicher und Reststrom aus regionaler Wasserkraft. Über ein Mieterstrommodell wird der Strom direkt vor Ort verbraucht. Ein weiterer Baustein des Projekts ist die konsequente Integration emissionsfreier Mobilität. Alle Stellplätze wurden mit Ladeanschlüssen ausgestattet und Wallboxen bestückt.

Lessons learned
Menschen versorgt das Wärmenetz
Von der kommunalen Wärmewende im Quartier profitieren 83 Wohneinheiten mit ca. 200 Bewohnenden.
Tonnen weniger CO₂
Durch das Projekt werden rund 325 t/Jahr an CO₂ eingespart.
Kilowattstunden Wärmeerzeugung
Pro Jahr werden 900.000 kWh Wärme erzeugt.
Das Ergebnis: eine nahezu emissionsfreie, bidirektional nutzbare Quartierslösung, die jährlich rund 325 Tonnen CO₂ einspart und die ohne fossile Backup-Systeme vollständig auf erneuerbaren Quellen basiert.
Das Projekt in Schallstadt zeigt, wie Anergie aus Abwasser als stabile, regenerative Wärmequelle für ganze Quartiere erschlossen werden kann. Kalte Nahwärmenetze ermöglichen dabei nicht nur eine effiziente Wärmeversorgung, sondern auch die passive Kühlung im Sommer. Entscheidend für den nachhaltigen Betrieb sind automatisierte Reinigungssysteme, Pufferspeicher und die präzise Auslegung aller Komponenten. Besonders wirksam wird das Konzept, wenn es als integriertes Gesamtsystem gedacht wird: inklusive Mieterstrom, Mobilität und Lastmanagement.