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Stroh: Vom Nebenprodukt zum Hochleistungs-Baustoff

Stand: Juni 2025
Foto, Marcel Burgstaller

Ein Baustoff, der nach Sommer duftet, Hitze und Lärm abhält und als Nebenprodukt der Landwirtschaft ohnehin anfällt? Dass das geht, zeigt Strohplatten-Hersteller Marcel Burgstaller.

Im Interview erklärt er, warum Strohbau nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch wirtschaftlich ist – und welche Einsatzmöglichkeiten es bereits gibt.

Herr Burgstaller, was begeistert Sie so an Stroh als Baustoff?

Stroh ist aus meiner Sicht ein Gewinner auf allen Ebenen: Es überzeugt ökologisch, technisch – und ist in großen Mengen verfügbar. Fangen wir mit dem Klimaaspekt an. Stroh hat eine exzellente CO2-Bilanz. Mit 10 Tonnen Stroh kann ich etwa 18,1 Tonnen dauerhaft binden. Je mehr Stroh ich verbaue, desto besser für die Umwelt. Dazu kommt das schnelle Wachstum: 0,6 Hektar Weizenfeld liefern in einem Sommer so viel nutzbare Biomasse wie eine Buche in 120 Jahren. 

Und trotzdem kann Stroh mit den Eigenschaften anderer Baustoffe mithalten?

Absolut! Meine Erfahrung zeigt: Stroh überzeugt selbst die Handwerker, die mit Klimaschutz eigentlich nichts am Hut haben. Anfangs ist die Skepsis oft groß. Das ändert sich, sobald sie mit dem Material arbeiten: Strohbau- und Strohdämmplatten lassen sich wie vergleichbare Holzbaulösungen schneiden und verarbeiten. Ganz ohne schwere Maschinen, bei der Dämmung reicht oft ein normales Messer – das spart Zeit und Aufwand auf der Baustelle. Und auch für Bewohnerinnen und Bewohner ist es sehr vorteilhaft. Stroh bietet hervorragenden Schallschutz und einen eingebauten Hitzeschutz durch die hohe Wärmekapazität. Und es ist robust: Ich kann mit einem 5-Kilo-Hammer dagegen schlagen und habe nur eine kleine Delle. Bei einer Gipsplatte wäre ich schon im anderen Zimmer. 

Kommen wir zur Verfügbarkeit.

Das ist vielleicht der größte Vorteil: Stroh fällt als Nebenprodukt im Getreideanbau ohnehin an – wir nutzen also etwas, das bereits vorhanden ist. Allein in Deutschland fallen jährlich 21 Millionen Tonnen Weizenstroh an – dazu kommen Millionen Tonnen Roggen- und andere Strohsorten. Ein Großteil davon wird genutzt, aber rund 7 bis 9 Millionen Tonnen bleiben jedes Jahr übrig. Hintergrund: In der Landwirtschaft wird Stroh heute als Einstreu oder Futtermittel immer weniger verwendet. Die Landwirte wissen also gar nicht, wohin mit der Biomasse. Hier kommen wir ins Spiel: Wir arbeiten eng mit dem Bauernverband und landwirtschaftlichen Betrieben zusammen und stehen als Abnehmer bereit.

Und Nutzungskonflikte gibt es keine?

Nein. Es besteht keine Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion und auch von industrieller Seite gibt es wenig Interesse. Stroh wird allerdings häufig zum Humusaufbau genutzt und dafür in größeren Mengen auf dem Acker liegengelassen – das liefert dem Boden wichtige Nährstoffe. Ob das aber notwendig ist, hängt stark von der Bodenqualität ab. Klar ist: Wir verwenden ausschließlich Überschüsse, also nur das, was nicht für die Felder gebraucht wird.

Für welche Produkte setzen Sie Stroh heute schon ein?

Hauptsächlich im Trockenbau. Unsere Strohbauplatten eignen sich für Boden, Wand und Dach. Aktuell arbeiten wir zum Beispiel mit einem Hersteller für Fußbodenheizungen zusammen. Unsere Dämmplatten werden ausgefräst und die Wärmeleitbleche verlegt. Auch das gelingt sehr gut. Außerdem bieten wir eine Einblasdämmung mit Stroh an. Das ist besonders materialeffizient und günstig, weil kein Verschnitt entsteht.

Ist Stroh auch kreislauffähig?

Definitiv. Unsere Baustoffe sind biologisch abbaubar und lassen sich problemlos wieder in den Kreislauf zurückführen. Die Platten werden verschraubt und nicht geklebt, sie lassen sich also einfach wieder lösen. Auch für andere Anwendungen können sie leicht zugeschnitten werden. Und selbst wenn das nicht mehr geht: Stroh lässt sich recyceln oder für neue Produkte verwenden. Zudem ist der Baustoff sehr langlebig. Schon in den 1930ern Jahren wurden in England massenhaft Strohbauplatten in über 360.000 Häusern verbaut. Einige dieser Häuser stehen heute noch und sind nach wie vor makellos.

Stroh gilt dennoch als heikel – Stichwort Brennbarkeit.

Das ist ein Vorurteil. Unsere Platten haben ohne zusätzliche Brandschutzmittel eine F30-Klassifizierung, halten also 30 Minuten einer Flamme von bis zu 1.200 Grad stand. Für den Innenausbau ist das ausreichend. Wem das nicht ausreicht, kann auch mit drei Lagen arbeiten. Damit erreicht man problemlos F90. Zudem haben wir eine sehr gute Lösung gefunden, den Brandwiderstand durch eine vollkommen ökologische Lösung massiv zu verbessern, entsprechende Prüfungen sind aktuell in Vorbereitung.

Wie sieht es mit Feuchtigkeit und Insekten aus?

In über 1.000 Projekten hatten wir keinerlei Probleme mit Ungeziefer. Das Material ist stark gepresst, da kommt kein Tier hinein. Außerdem ist Stroh sehr nährstoffarm: Selbst Termiten gehen da nicht ran, wie wir bei einem Projekt im Senegal selbst erproben konnten.  Ansonsten gilt natürlich: Es muss trocken bleiben. In Innenräumen oder durch entsprechende Außenwandlösungen ist das problemlos machbar. Bei einem Wasserschaden müssen beschädigte Bereiche – wie bei jedem Material – entfernt werden. Der Vorteil bei uns: Die Platten lassen sich leicht herausschneiden und ersetzen.

Was ist ihr Lieblingsprojekt?

Ein Highlight war sicherlich der Amazon Tower in Berlin. Dort haben wir Stroh erstmals in einem Hochhaus verbaut, und zwar im 35. Stock, Stroh in Höchstform also. Ein Teil der Innenwände besteht aus unseren Strohplatten. Das ist großartig!

Ein Leuchtturmprojekt ist auch das Reallabor in der Fassfabrik in Berlin.

Genau, dort haben wir weltweit erstmals Bauplatten aus Paludikulturen eingesetzt – also aus Pflanzen, die auf wiedervernässten Moorflächen wachsen und ähnlich wie Stroh langfristig CO2 binden. Das bringt nicht nur große ökologische Vorteile. Die Platten lassen sich auch hervorragend verarbeiten – und riechen dabei sogar gut, wie der Bauherr erstaunt feststellte.

Ist Paludi heute also raus aus der Nische?

Wir sind auf einem guten Weg. Moore müssen wiedervernässt werden, und die Nutzung von Biomasse aus Paludikulturen bietet der Landwirtschaft neue Wertschöpfungsketten. Politisch gibt es das klare Ziel, die CO2-Emissionen aus Moorböden bis 2030 um mindestens fünf Millionen Tonnen jährlich zu senken. Aber auch rein wirtschaftlich rechnet sich das für viele Landwirte nicht mehr anders: Früher wollte man Moore trockenlegen. Heute zerstören Überschwemmungen vielfach die Ernteerträge. Da ist eine Rückvernässung eine naheliegende Option. 

Ob Stroh oder Paludi – das klingt nach großem Potenzial. Warum ist der Markt so klein?

Weil uns die Skalierung noch fehlt. Die Herstellung ist derzeit noch teurer als konventionelle Baustoffe. Aktuell kostet unsere Trockenbauplatte circa 20 Euro pro Quadratmeter, Gipsplatten liegen im Vergleich dazu bei nur etwa zwei Euro – also fast nichts. Unser Ziel liegt bei 10 bis 15 Euro und das halte ich auch für realistisch. Dazu kommt, dass der Einbau dank der leichten Handhabung viel schneller und dadurch kostengünstiger ist. So können wir langfristig mit Gips mithalten – oder mit künftigen Produktions- und Prozessverbesserungen sogar eine noch wirtschaftlichere Variante liefern.

Wird konventionelles Bauen umgekehrt teurer?

Ja, das ist sehr wahrscheinlich. Mit dem Abschalten der Kohlekraftwerke versiegt für die Baubranche auch die wichtigste Quelle für die Gipsproduktion. Denn sie haben bislang nicht nur Strom und Wärme erzeugt, sondern als Nebenprodukt auch sogenannten REA-Gips. Künftig muss wieder Naturgips abgebaut werden – die Zeiten der billigen Gipsplatten sind also im Grunde vorbei. Schon heute werden Gipsplatten aus diesem Grund aus China importiert. Ein falscher Weg, dann die Lösung wächst ja quasi vor der Haustüre!

Und wie geht es weiter?

Momentan bauen wir für Berlin, Hamburg und Wien Kooperationen mit Produktionsstätten auf. Ziel ist es, regionale Fertigungen zu ermöglichen. Das spart Transportwege, senkt CO2-Emissionen und schafft regionale Wertschöpfung. Außerdem wollen wir, dass Stroh und Paludi als Baustoff wirklich in der Breite ankommt. Und dass die Bauwirtschaft versteht: Wir brauchen keine neuen Rohstoffe! Es reicht ein Blick auf das, was schon längst da ist.

Über Marcel Burgstaller

Marcel Burgstaller ist Bautechniker, führt einen Master im Bereich Innovationsmanagement und ist Gründer sowie CEO der istraw.group.

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